Bezahlkarte ohne Standards

Länder vereinbaren Diskriminierungskonzept

Eine Analyse von PRO ASYL

Die ein­heit­li­che Bezahl­kar­te statt Bar­geld für Geflüch­te­te kommt – das ist die aktu­el­le Bot­schaft der Bun­des­län­der. 14 der 16 Län­der hät­ten sich auf »Stan­dards« der Bezahl­kar­te und ein gemein­sa­mes Ver­ga­be­ver­fah­ren geei­nigt, teil­te die Hes­si­sche Staats­kanz­lei am 31. Janu­ar mit. Fak­tisch bekun­den die Län­der mit die­ser Erklä­rung zur Bezahl­kar­te den Wil­len, ein Dis­kri­mi­nie­rungs­in­stru­ment für Geflüch­te­te zu installieren.

Wie genau die ein­zel­nen Län­der die Bezahl­kar­te aus­stat­ten wer­den, ist noch offen. Das vor­geb­li­che Ziel – die Sen­kung der Asyl­zah­len – wer­den die Ver­ant­wort­li­chen jeden­falls nicht errei­chen. Was offen­bar den­noch bei der Bevöl­ke­rung ankom­men soll, ist das kaum ver­hoh­le­ne Signal: Wir tun etwas gegen Geflüch­te­te. Und damit las­sen sich Politiker:innen der demo­kra­ti­schen Par­tei­en von denen trei­ben, die schutz­su­chen­de Men­schen gene­rell von Deutsch­land fern­hal­ten oder aus dem Land ver­trei­ben wollen.

Erklärter Zweck der Bezahlkarte: Abschreckung

Mit der Bezahl­kar­te sol­len die Bar­geld­ver­fü­gung für geflüch­te­te Men­schen ein­ge­schränkt und Über­wei­sun­gen unmög­lich wer­den. Hes­sens Regie­rungs­chef Boris Rhein erklärt die Eini­gung für die Bezahl­kar­te zu einem »wich­ti­gen Schritt, Anrei­ze für ille­ga­le Migra­ti­on nach Deutsch­land zu sen­ken«. Folg­lich wird damit ver­sucht, den Betrof­fe­nen das Leben hier schwer zu machen, um Men­schen von der Flucht nach Deutsch­land abzuhalten.

Schon auf ihrer Kon­fe­renz am 6. Novem­ber 2023 hat­ten die Regierungschef:innen von Bund und Län­dern betont, »Anrei­ze für eine Sekun­där­mi­gra­ti­on … nach Deutsch­land« und gene­rell die Asyl­an­trags­zah­len »deut­lich und nach­hal­tig« sen­ken zu wol­len. In sozi­al­po­li­ti­schen Ver­schär­fun­gen, zu denen die Bezahl­kar­te gehört, sehen sie dazu offen­bar ein legi­ti­mes Mittel.

Das ist nicht nur schä­big, son­dern auch men­schen­recht­lich zwei­fel­haft: Schon allein die­ses Motiv, der Abschre­ckungs­ge­dan­ke, wirft Fra­gen auf. Das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt hat in einer Ent­schei­dung von 2012 die Gewähr­leis­tung eines men­schen­wür­di­gen Exis­tenz­mi­ni­mums für jeden Men­schen aus­drück­lich fest­ge­hal­ten und erklärt, dass die Men­schen­wür­de nicht »aus migra­ti­ons­po­li­ti­schen Grün­den rela­ti­viert« wer­den dür­fe (1 BvL 10/10 und 1 BvL 2/11). Mit die­ser Ent­schei­dung hat­te das höchs­te deut­sche Gericht damals die Höhe der gerin­gen Asyl­be­wer­ber­leis­tun­gen annä­hernd auf Sozi­al­hil­fe­ni­veau ange­ho­ben – bis die Regie­rung die Leis­tun­gen eini­ge Jah­re spä­ter wie­der senkte.

Je mehr Beschrän­kun­gen auf der Bezahl­kar­te sind, des­to dras­ti­scher grei­fen die staat­li­chen Maß­nah­men in das All­tags­le­ben und die per­sön­li­che Frei­heit der Betrof­fe­nen ein. Bei der Ver­hin­de­rung von Über­wei­sun­gen schei­nen sich die Län­der bereits auf die restrik­tivs­te Linie fest­ge­legt zu haben.

Was bedeutet die Karte für die Betroffenen?

Die nun beschlos­se­nen angeb­li­chen Stan­dards der Bezahl­kar­te sind kei­ne Stan­dards, son­dern ledig­lich der kleins­te gemein­sa­me Nen­ner, auf den sich die Bun­des­län­der eini­gen konn­ten. Auf die­ser Grund­la­ge kön­nen die ein­zel­nen Län­der die Kar­te mit tech­ni­schen Nut­zungs­ein­schrän­kun­gen ver­se­hen, müs­sen dies aber nicht.

Klar ist: Je mehr Beschrän­kun­gen auf der Bezahl­kar­te sind, des­to dras­ti­scher grei­fen die staat­li­chen Maß­nah­men in das All­tags­le­ben und die per­sön­li­che Frei­heit der Betrof­fe­nen ein. Bei der Ver­hin­de­rung von Über­wei­sun­gen schei­nen sich die Län­der bereits auf die restrik­tivs­te Linie fest­ge­legt zu haben. Frag­lich ist noch, wie es um den Daten­schutz der Kar­te und ins­be­son­de­re um den Schutz vor Miss­brauch der Daten und der Zugriffs­mög­lich­kei­ten durch die Behör­den aus­se­hen wird.

Drei der größ­ten Pro­ble­me sind folgende:

Kei­ne Über­wei­sun­gen: Die Bezahl­kar­te ist nicht mit einem Bank­kon­to ver­knüpft, eine Über­wei­sungs­mög­lich­keit soll expli­zit aus­ge­schlos­sen sein. Über­wei­sun­gen sind heut­zu­ta­ge aber unent­behr­lich – etwa für einen Han­dy­ver­trag, für den Abschluss einer Haft­pflicht­ver­si­che­rung oder man­che klei­ne Ein­käu­fe im Inter­net. Geflüch­te­te müs­sen ins­be­son­de­re die Raten für ihre drin­gend benö­tig­ten Rechts­bei­stän­de per Über­wei­sung bezah­len kön­nen. Nicht alle Anwält:innen ver­fü­gen über ein Debit­kar­ten­ter­mi­nal. Und dass die Geflüch­te­ten jeden Monat zur Abbu­chung oder zur Bar­zah­lung zu ihrem Rechts­bei­stand rei­sen, ist auf­wen­dig und kos­tet wie­der­um Geld. Ohne Über­wei­sungs­mög­lich­keit wer­den Geflüch­te­te aus einem wich­ti­gen Bereich des Lebens aus­ge­grenzt und ihrer Selb­stän­dig­keit beraubt.

Beschrän­kung von Bar­geld: Die Län­der haben sich nicht ein­mal auf einen rele­van­ten Min­dest­be­trag ver­stän­digt, der von den Betrof­fe­nen in bar abge­ho­ben wer­den kann. Wer in Deutsch­land ohne Bar­geld lebt und nur weni­ge Din­ge in bestimm­ten Läden kau­fen kann, ver­liert an Selbst­be­stim­mung und macht demü­ti­gen­de Erfah­run­gen, etwa wenn der Euro für die öffent­li­che Toi­let­te oder der Bei­trag für die Klas­sen­kas­se fehlt. Beim Gemein­de­fest oder in der Schul­ca­fé­te­ria kann man mit der Bezahl­kar­te nichts kaufen.

Im Sozi­al­recht ist aner­kannt, dass Men­schen selbst­stän­dig wirt­schaf­ten und selbst ent­schei­den sol­len, wel­chen Teil ihres Gel­des sie wofür aus­ge­ben. Eine Beschrän­kung des Bar­geld­be­trags schränkt die Ver­fü­gungs­ge­walt der Men­schen über die selbst­stän­di­ge Gestal­tung ihres Lebens ein. Letzt­lich greift ein Bar­geld­ent­zug in Ver­bin­dung mit einer beschränk­ten Zahl­mög­lich­keit der Geld­kar­te die Men­schen­wür­de der Betrof­fe­nen an.

Regio­na­le Beschrän­kung: Die Bezahl­kar­te kann so ein­ge­stellt wer­den, dass sie nur inner­halb eines bestimm­ten Post­leit­zah­len­be­reichs funk­tio­niert. Die regio­na­le Ein­schrän­kung der Kar­te stellt offen­kun­dig den Ver­such dar, die Frei­zü­gig­keit der Betrof­fe­nen durch die Hin­ter­tür zu beschrän­ken: Wer Ver­wand­te oder Freund:innen besucht oder einen wei­ter ent­fern­ten Fach­arzt oder eine Bera­tungs­stel­le auf­su­chen möch­te, kann in erns­te Schwie­rig­kei­ten gera­ten, wenn er/sie nicht ein­mal eine Fla­sche Was­ser kau­fen kann.

Eine diskriminierungsfreie Bezahlkarte wäre möglich – ist aber nicht gewollt

Neben die­sen Beschrän­kun­gen sind wei­te­re vor­ge­se­hen: Bestimm­te Bran­chen oder Geschäf­te kön­nen aus­ge­schlos­sen wer­den, auch der Aus­schluss bestimm­ter Waren kann pro­gram­miert wer­den. Wei­te­re indi­vi­du­el­le Beschrän­kun­gen oder Sank­tio­nen sind tech­nisch möglich.

Wie die Län­der die Kar­te letzt­lich umset­zen wer­den, wel­che Ent­schei­dun­gen sie den Kom­mu­nen über­las­sen, ist offen. So kön­nen sie auch libe­ra­le Rege­lun­gen tref­fen und bei­spiels­wei­se die Kom­mu­nen per Erlass bin­den, die Aus­zah­lung des gesam­ten Geld­be­trags zu ermöglichen.

Länder müssen Spielraum positiv nutzen

Tat­säch­lich könn­te die Bezahl­kar­te auch dis­kri­mi­nie­rungs­frei ein­ge­setzt wer­den: Als unbe­schränk­tes digi­ta­les Zah­lungs­mit­tel für eine Über­gangs­zeit zu Beginn, solan­ge die ankom­men­den Men­schen noch kein Kon­to haben. So macht es der­zeit die Stadt Han­no­ver vor – offen­bar zur all­sei­ti­gen Zufrie­den­heit. Bis­lang hän­di­gen die Behör­den in der Anfangs­zeit Bar­geld aus – eine auf­wän­di­ge Pro­ze­dur. Der in den Erst­auf­nah­me­ein­rich­tun­gen aus­ge­zahl­te Betrag ist dabei sehr nied­rig (204 Euro im Monat für eine:n allein­ste­hen­de Erwachsenen, fak­tisch oft weni­ger), weil dort ein gro­ßer Teil der Leis­tun­gen bereits der­zeit als Sach­leis­tung – in Form von Unter­kunft, Kan­ti­nen­es­sen, Alt­klei­dern und ande­rem gewährt wird. Die Bar­aus­zah­lung zu Beginn des Auf­ent­halts könn­te durch die Bezahl­kar­te sinn­voll ersetzt wer­den und Ver­wal­tungs­auf­wand sparen.

Dazu müs­sen Län­der und Kom­mu­nen Beschrän­kun­gen und Miss­bräu­che unter­las­sen, strikt den Daten­schutz beach­ten und die noch vor­han­de­nen Spiel­räu­me posi­tiv und huma­ni­tär nut­zen. Dabei ist es vor allem wich­tig, den betrof­fe­nen Per­so­nen­kreis klein und die Anwen­dungs­dau­er kurz zu hal­ten: Sobald die Men­schen ein nor­ma­les Giro­kon­to haben oder erhal­ten kön­nen, sind Bezahl­kar­ten nicht mehr nötig. Die nor­ma­le Giro­kar­te ist dis­kri­mi­nie­rungs­frei, ver­fas­sungs­kon­form und sogar für die Ver­wal­tun­gen die ein­fachs­te und güns­tigs­te Lösung.

Vorgeschobene Argumente

Zur Recht­fer­ti­gung der Bezahl­kar­te wer­den vor­ge­scho­be­ne Argu­men­te vor­ge­bracht. Die zen­tra­le Idee, weni­ger Geld oder mehr Drang­sa­lie­rung wür­den zu weni­ger Asyl­su­chen­den füh­ren, ist so alt wie falsch – das hat schon die alte sozia­le Abschre­ckungs­po­li­tik ab den 1990er Jah­ren gelehrt. Kein Kriegs­flücht­ling wird die Flucht auf­ge­ben, weil in Deutsch­land Bezahl­kar­ten statt Bar­geld war­ten. Auch künf­tig wer­den Geflüch­te­te aus man­chen euro­päi­schen Län­dern wie Grie­chen­land oder Ita­li­en hier­her kom­men, weil sie andern­orts gar kei­ne Unter­stüt­zung bekom­men, zum Teil sogar ohne Obdach und Ver­sor­gung, hun­gernd, frie­rend und nicht sel­ten krank um ihr nack­tes Über­le­ben ban­gen. An die­ser Rea­li­tät wer­den wir auch künf­tig nicht vor­bei kom­men. Das Pro­blem ist nicht, dass Deutsch­land zu hohe Sozi­al­stan­dards hat, son­dern dass man­che Län­der mit­ten in Euro­pa die Men­schen­rech­te nicht einhalten.

Die Bezahl­kar­te reiht sich ein in poli­ti­sche Maß­nah­men ein, die in einer auf­ge­heiz­ten gesell­schaft­li­chen Stim­mung zwei­fel­haf­te Signa­le an res­sen­ti­ment­ge­la­de­ne Tei­le der Bevöl­ke­rung senden.

Eine wei­te­re Begrün­dung für die Bezahl­kar­te lau­tet: Man wol­le den Trans­fer von Geld unter­bin­den – wahl­wei­se zu den Hei­mat­fa­mi­li­en oder zu Schlep­pern. Dabei wird über­se­hen: Bereits heu­te erhal­ten Geflüch­te­te, beson­ders in der Anfangs­zeit in den Erst­auf­nah­me­ein­rich­tun­gen der Län­der, vor allem Sach­leis­tun­gen und nur einen sehr gerin­gen Geld­be­trag. Die Idee, von den gerin­gen Asyl­be­wer­ber­leis­tun­gen könn­te noch Geld in die Her­kunfts­län­der geschickt wer­den, ist völ­lig realitätsfern.

Die Bezahl­kar­te reiht sich ein in poli­ti­sche Maß­nah­men ein, die in einer auf­ge­heiz­ten gesell­schaft­li­chen Stim­mung zwei­fel­haf­te Signa­le an res­sen­ti­ment­ge­la­de­ne Tei­le der Bevöl­ke­rung sen­den. Die Umset­zung wird vie­ler­orts abseh­bar zu Ärger und Frust im All­tag geflüch­te­ter Men­schen füh­ren und ihr Ankom­men und die Inte­gra­ti­on für eine lan­ge Zeit behin­dern. Das ist kei­ne ratio­na­le, kon­struk­ti­ve Asylpolitik.

(ak)

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