VON WOLFGANG HORN
Man kann Not unterschiedlicher Gruppen nicht gegeneinander aufwiegen. Aber die Dauerberieselung mit Protesten von Landwirten führt mich durchaus zu der Frage, ob es sich bei den organisierten Bauern wirklich um die gesellschaftliche Gruppe mit den ärgsten sozialen Problemen handelt. Die Landwirte in Deutschland sind jedenfalls die am höchsten mit EU-Geldern und nationalen Finanzspritzen unterstützte Gruppe. Pfleger und Pflegerinnen in Krankenhäusern und in der Altenbetreuung, Kindergärtnerinnen, Frauen an den Supermarktkassen jedenfalls erhalten keine Subventionen. Und sie haben keine großvolumigen Trecker, mit denen sie Innenstädte oder Autobahnen blockieren und so auf ihre wirtschaftliche Lage hinweisen können. Bauern protestieren laut.
Heute höre ich in Nachrichten, daß es nicht nur um Agrardiesel geht, sondern vor allem um gesellschaftliche Anerkennung. Jo mei. Das gilt doch gewiß auch für Pflegedienstmitarbeiter und Ärzte, für Kindergärtnerinnen und Tagesmütter. Während der Corona-Pandemie hat das medizinische Personal in der ganzen Republik bis zur totalen Erschöpfung malocht, im Interesse der Gesundheit aller. Vergessen? Nein. Und? Werden sie nunmehr subventioniert? Fließen EU-Mittel in die Krankenhäuser und Heime, in die Seniorenstifte oder Hospize? Nein, natürlich nicht.
Ich werde den Verdacht nicht los, daß die Phonzahlen von Protesten deren Wertigkeit ausmachen. Lautstärke, Unerbittlichkeit bis an und mitunter über die Krawallgrenze hinaus, schamlos-unanständige Formulierungen bis hin zu Beleidigungen und Schmähungen politischer oder gesellschaftlicher Gegner gehören mittlerweile zum Instrumentarium von Protest. Leider. Die Stillen bleiben ungehört. Deren Interessen werden übersehen. Nach den Bauern kommen die Spediteure, dann die Handwerker, dann andere. Alle laut, alle eher roh, mit aggressiver Sprache und rohen Bildern auf den Transparenten. Nicht aber die Stillen, ohne die das Land nicht sein kann.
Ja, man wundert sich. Ich bin nach dem Krieg auf einem Bauernhof aufgewachsen. Alles war Handarbeit. Ich erinnere mich, dass ich mit 13 Jahren allein auf dem Feld geackert habe, mit Fahrkühen, nicht mit Trecker.
Das hieß Feldarbeit, nicht Knochenarbeit.