Ein frohes Fest

Weihnachtswünsche nach einer anderen Tonlage im Umgang mit Geflüchteten

VON WOLFGANG HORN

Tag ein, Tag aus erzählt den Menschen die Politik, fast unisono, das Land, die Kommunen ächzten unter einem nicht zu bewältigenden Zustrom von Menschen aus den Weltkrisengebieten nach Deutschland. Tag ein, Tag aus assistiert von einer Mehrheit der Medien, Zeitungen voran, die das Narrativ der Politik verstärken und verstetigen. 

Zunächst einmal: Dass sich Menschen aus aller Welt auf die Flucht begeben und nach Europa wollen, hat seine Ursache vor allem in grausamen Diktaturen in den Heimatländern samt Verfolgung und Unterdrückung, in Krieg oder Bürgerkrieg im eigenen Land, in Klimakatastrophen mit Fluten, Dürren und in der Folge Hunger.

Dann: Die meisten Menschen, die vor Hunger, Krieg, Verfolgung flüchten, suchen Schutz und bessere Lebensverhältnisse in unmittelbarer Umgebung, in den Nachbarländern. Nur ein kleiner Teil der hundert Millionen Menschen, die sich derzeit auf der Flucht befinden, kommt nach Europa.

Unabhängig davon, dass natürlich nicht alle, die sich weltweit auf die Flucht begeben, in Deutschland aufgenommen werden können, darf nicht den Geflüchteten die Schuld für ihre Flucht aufgebürdet werden. Doch genauso verläuft die Debatte bei uns. Immer mehr setzt sich der Zungenschlag durch: Ihr, die Geflüchteten, seid die Ursache dafür, dass bei uns die Stimmung schlecht ist, die Rechtsnationalisten Zulauf haben, sich der Wohnraum verknappt, zu wenig Lehrer:innen zur Verfügung stehen, Turnhallen belegt werden, die Kriminalität wächst, der Antisemitismus steigt, undsoweiter … Dabei hat dieses Land schon einmal, nach dem Weltkrieg, etwa zwölf Millionen Menschen aufgenommen und integriert, die als Folge des Krieges aus dem Osten geflohen oder von dort vertrieben worden sind. Nicht ohne Probleme, aber am Ende erfolgreich.

Dieses Land, die Bundesrepublik hat derzeit zudem eine Million Menschen aus der Ukraine aufgenommen. Frauen und Kinder vor allem, die von Putin und seinen Soldaten zum Verlassen der Heimat gezwungen worden sind. Und deren Männer einen Kampf führen in einem Stellvertreterkrieg. Putin und die Seinen bekämpfen die Ukraine und die Stoßrichtung ist der „Westen“, seine Lebenskultur, das politische System, die Demokratie und der Rechtsstaat, die individuellen Menschenrechte, die Wahrung der Würde des Menschen.

Statt die Mär vom vollen Boot zu verbreiten, wäre angebracht, sich hörbar und zuerst bei den Hunderten Initiativen und Tausenden Bürger:innen in ganz Deutschland zu bedanken, die Tag für Tag Geflüchteten beistehen, sie bei Behördengängen begleiten, ihnen bei der Integration behilflich sind, Sprachunterricht erteilen, ihnen den Rücken stärken. Ohne dieses seit Jahren andauernde ehrenamtliche Engagement der Vielen hätten wir tatsächlich eine Migrationskrise. Doch davon ist seit Monaten mit keiner Silbe die Rede. Stattdessen erhalten sie ungesagt die bittere Botschaft: Ihr engagiert euch für die Falschen.

Die Zahl von Geflüchteten, die bei uns Schutz suchen, dadurch reduzieren zu wollen, dass man sog. „Anreize“ oder „Pullfaktoren“ beseitigt, ist Augenwischerei. Als Pullfaktor gelten Sozialleistungen für Geflüchtete. Die Vorstellung, dass sich in Somalia jemand deswegen auf die Flucht begibt, weil er in Deutschland ein paar Euro mehr Sozialleistungen als in einem anderen EU-Land bekommt, bzw. abgeschreckt wird, weil nun eine sog. „Bezahlkarte“ eingeführt werden soll, ist geradezu irrig – und sagt eine Menge mehr über das Denken von Politiker:innen aus, die nicht mehr über einen Kompass verfügen. 

Dass nun noch Flüchtlingslager an den Außengrenzen der EU entstehen sollen, in denen unter menschenunwürdigen, gefängnisähnlichen Bedingungen über ein Asylverfahren entschieden werden soll, ist der Tiefpunkt gemeinsamer europäischer Flüchtlingspolitik. Derartige Ideen stärken allenfalls die Extremisten und Nationalisten, führen aber keineswegs zu einer Entlastung von Ländern und Kommunen.

Der größte Anreiz für Geflüchtete, sich auf den Weg nach Europa, nach Deutschland zu machen, ist trotz aller Einschränkungen die Aussicht, hier angstfrei und in Frieden leben zu können, Demokratie zu erfahren, Meinungs- und Religionsfreiheit zu erleben. Es wird höchste Zeit, dass wir zu einer Tonlage zurückfinden, die dem Gegenstand, nämlich der Menschenwürde von Geflüchteten, entspricht und die das Wichtigste im Blick behält: die Integration der Geflüchteten und die Wahrung der Grundrechte aller. Zu einer Tonlage des Anstandes, des anständigen Umgangs mit Fremden.

Im Namen derer, die an dem ehrenamtlichen Unternehmen „Forum Wermelskirchen“ beteiligt sind, möchte ich an Heiligabend 2023 all jenen danken, die seit Jahren ohne Aufsehen zu machen in Wermelskirchen geflüchteten Menschen zur Seite stehen, gleich woher sie kommen oder welchen Glaubens sie sind. „Willkommen in Wermelskirchen“ ist der Kern der solidarischen Stadtgesellschaft. Eine christliche Initiative, offen für alle, die helfen wollen. Eine Gemeinschaft der Vielfalt, die vor allem im Stillen hilft. Ein große Gruppe Wermelskirchener Bürgerinnen und Bürger, die stetig und beharrlich der Geschichte vom vollen Boot die Nächstenliebe und Solidarität entgegensetzt.

Ohne „Willkommen in Wermelskirchen“ wäre Weihnachten 2023 ärmer.

Ich wünsche Ihnen erholsame Feiertage.

Ihr Wolfgang Horn

Beitragsfoto ©  Markus Spiske auf Unsplash

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