„Ich dachte, ich würde noch vierzehn Tage leben!“

Den Beitrag von Armin Breidenbach entnehmen wir dem Waterbölles, dem kommunalpolitischen Forum für Remscheid

Einen ersten Überblick über verschiedene Konzentrationslager, Zuchthäuser, Strafgefangenenlager, Gefängnisse, Lager und Ghettos, in denen Remscheider Bürgerinnen und Bürger während des „Dritten Reiches“ inhaftiert waren, gibt eine – vermutlich in den 1960er Jahren – von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregime (VVN), Kreisvereinigung Remscheid, erstellte Liste. Danach waren etwa 350 meist aus Remscheid stammende Männer und Frauen an 37 verschiedenen Orten inhaftiert. Diese Liste ist allerdings in mehrfacher Hinsicht unvollständig: Zum Beispiel sind zahlreiche Lager oder Haftstätten nicht aufgeführt, obwohl auch dort Remscheiderinnen und Remscheider gefangen gehalten wurden; hierzu gehören beispielsweise die Konzentrationslager Flossenbürg, Natzweiler, Ravensbrück und Stutthof sowie das Zuchthaus Aichach und das Landgerichtsgefängnis Arnsberg.

Auch hinsichtlich der damals verfolgten Personengruppen ist festzustellen, dass nur sehr wenige aus Remscheid stammende jüdische Männer und Frauen sowie Sinti und Roma in dieser Liste erfasst sind. Gar nicht erfasst sind die aus Remscheid stammenden Kinder und Jugendlichen, die ebenfalls während des Nationalsozialismus verfolgt wurden. Und auch die in Remscheid während des Zweiten Weltkriegs arbeitenden Kriegsgefangenen, Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, die damals aus politischen oder anderen Gründen auffällig geworden und deshalb verfolgt worden waren, sind in der VVN-Liste nicht genannt; dies gilt auch für die Remscheider „Euthanasie“-Opfer und weitere Opfergruppen wie beispielsweise sogenannte Asoziale.

Des Weiteren sind zahlreiche Remscheider Bürgerinnen und Bürger, die aus politischen Gründen verfolgt wurden, in der VVN-Liste nicht aufgeführt, weil damals, in den 1960er Jahren, bestimmte Unterlagen (wie beispielsweise Wiedergutmachungsakten) noch nicht eingesehen werden konnten. In der Zwischenzeit konnten durch die Auswertung von Gestapo-Akten, Wiedergutmachungsakten und Beiträgen in Printmedien oder im Internet zahlreiche weitere Remscheider NS-Verfolgte ermittelt werden. Nach derzeitigem Forschungsstand wurden etwa 1.000 aus Remscheid stammende Männer, Frauen und Kinder aus politischen, religiösen, rassischen und anderen Gründen verfolgt.

Zu den in der VVN-Liste nicht aufgeführten Konzentrationslagern gehört auch das KZ Mauthausen, das in der Nähe der österreichischen Stadt Linz lag. Es wurde 1938 errichtet und bestand bis zum 5. Mai 1945, dem Tag der Befreiung durch die US-Armee. In diesem Zeitraum wurden etwa 185.000 bis 195.000 Menschen dort eingeliefert. Zwischen 89.000 und 98.000 Männer, Frauen und Kinder kamen im KZ Mauthausen, in Gusen und den Außenlagern ums Leben, das heißt, etwa jeder zweite überlebte die dortige Haft nicht.

Im Folgenden soll exemplarisch auf einige Personen eingegangen werden, die im „Dritten Reich“ in jenes KZ eingeliefert wurden und bei denen ein Bezug zu Remscheid besteht. Fünf Gruppen sind hier zu nennen: Personen, …

  • die in Remscheid, Lennep oder Lüttringhausen geboren wurden,
  • die während des „Dritten Reiches“ in Remscheid zumindest vorübergehend wohnhaft waren,
  • die sich wegen ihres Widerstands gegen das NS-Regime nur sehr kurzfristig in Remscheid aufgehalten haben,
  • die aus politischen oder anderen Gründen im Zuchthaus Remscheid-Lüttringhausen inhaftiert waren und später von dort aus in das KZ Mauthausen überführt wurden und
  • die zeitweise im Zuchthaus Lüttringhausen inhaftiert waren und später von einer anderen Haftanstalt aus in das KZ Mauthausen eingeliefert wurden.

Rolf vom Busch: Zu den Personen, die in Remscheid geboren und später in das KZ Mauthausen eingewiesen wurden, gehört beispielsweise der Remscheider Hochstapler und Mörder Rolf vom Busch. Über ihn veröffentlichten Viola Meike und Sarah Baldy 2019 eine umfangreiche Biographie. Rolf vom Busch, der am 12. Oktober 1905 in Remscheid geboren wurde und sowohl die Haft im Zuchthaus Brandenburg-Görden als auch die Haft in den Konzentrationslagern Sachsenhausen und Mauthausen überlebte, trat nach 1945 bei den „Wiener Neudorfer Prozessen“ als Zeuge und „Gutachter“ auf. Er starb am 6. Juli 1971 in Wien.

Willy Loich: Zu den Personen, die im „Dritten Reich“ in Remscheid zumindest vorübergehend wohnhaft waren und im Zweiten Weltkrieg nach Mauthausen verschleppt wurden, zählt auch Willy Loich, über den eine biographische Skizze vorliegt, die von Viola Schwanicke erstellt und nicht nur 2016 im „Gedenkbuch für die Toten des KZ Mauthausen“ veröffentlicht wurde, sondern auch online einsehbar ist. Loich, der am 30. November 1897 in Gütersloh geboren wurde und 1939/40 in Remscheid-Lennep wohnte, „kam mehrfach mit dem Gesetz in Konflikt“, wie Viola Schwanicke schreibt. Zuletzt wurde Willy Loich am 4. Januar 1941 vor dem Landgericht Wuppertal wegen Betrugs im Rückfall zu einer Zuchthausstrafe von zwei Jahren verurteilt; das geplante Haftende war der 4. Juli 1942. Von der Beobachtungsabteilung der Strafanstalt Köln kommend wurde er am 1. April 1942 in das Zuchthaus Lüttringhausen eingeliefert und am 1. oder 4. Juli 1942 der Sicherungsanstalt in Schwäbisch Hall zugeführt. Am 7. Januar 1943 wurde er in das KZ Mauthausen eingeliefert und erhielt dort die Häftlingsnummer 20719. Später wurde er in das Mauthausen-Nebenlager Gusen überführt, wo er bereits am 1. Februar 1943 umkam oder ermordet wurde.

Albert Wandres: Zu den Personen, die sich wegen ihres Widerstands gegen das NS-Regime nur sehr kurzfristig in Remscheid aufgehalten haben und später im KZ Mauthausen gefangen gehalten wurden, gehört auch der Funktionär der verbotenen Internationalen Bibelforscher-Vereinigung (I.B.V.), Albert Wandres. Er wurde am 10. April 1902 in Kehl geboren und wohnte später in Wiesbaden, wo sich das deutsche Zweigbüro der I.B.V. befand. Von dort aus bereiste er ganz Westdeutschland, um die illegalen Ortsgruppen der Ernsten Bibelforscher aufzusuchen und diese mit ausländischen Broschüren und Zeitungen zu beliefern; derartige illegale Ortsgruppen bestanden unter anderem auch in Remscheid und im benachbarten Wermelskirchen. Außerdem nahm er die von den illegalen Mitgliedern der I.B.V. gesammelten Geldbeträge in Empfang und leitete sie weiter.

Etwa alle vier bis sechs Wochen kam Wandres auch nach Remscheid, wo er Spenden bis zu etwa 100 Reichsmark erhielt. Im Zusammenhang mit einem Prozess gegen 45 Ernste Bibelforscher, von denen 43 aus Remscheid kamen, wurde Albert Wandres in einem Artikel des Remscheider General-Anzeigers vom 6. Februar 1936 („‘Ernste Bibelforscher‘ vor dem Richter“) genannt; allerdings wurde in jenem Artikel sein Name fälschlicherweise mit „Wonders“ angegeben. Albert Wandres, der am 3. September 1937 von Beamten der Stapoleitstelle Dresden festgenommen worden war, wurde später wegen seiner umfangreichen illegalen Arbeit zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Nach Strafverbüßung wurde er allerdings nicht freigelassen, sondern der über ihn angelegten Häftlings-Personalkarte zufolge am 6. Februar 1943 in das KZ Mauthausen eingewiesen, wo er die Häftlingsnummer 23440 erhielt. Albert Wandres, über den eine biographische Skizze vorliegt, überlebte das „Dritte Reich“; wann und wo er gestorben ist, ist allerdings nicht bekannt.

Der folgende Auszug aus dem Bericht „Erlebnisse aus dem KL Mauthausen“ stammt von Albert Wandres, den dieser nach Ende des Zweiten Weltkriegs verfasst hatte: „Mauthausen liegt ungefähr 15 km hinter Linz an der Donau auf einem Berg. Als wir dort mit dem Transportzug ankamen, empfing uns unten in dem kleinen Dörfchen die SS mit aufgepflanzten Bajonetten. Wir mussten dann in Dreier-Aufstellung … durch das Gebirge hoch in das Lager marschieren. Es war mitten im Winter und vor dem KL (Konzentrationslager; A.B.) mussten wir uns ganz nackt ausziehen und wurden in das Bad geführt, wo wir uns zuerst reinigen und waschen mussten. Hinterher bekamen wir ein Hemd für vierzehn Tage und sonst nichts zu anziehen, so dass wir Schulter an Schulter standen um uns gegenseitig zu wärmen. Ab und zu kam auch ein Beamter und fragte uns, warum wir hier seien, und wenn jemand eine dumme Antwort gab, so gab es Faustschläge fast bis zur Bewusstlosigkeit. Ich selbst war vierzehn Tage in der Quarantäne und wurde dann weitergeleitet in ein Außen-Lager von Mauthausen nach Groß-Raming. Dort wurde eine neue Straße im Gebirge angelegt. Nach drei Monaten war ich schon bereits erschöpft, und meine Kraft war verbraucht. Ich dachte, dass ich vielleicht noch vierzehn Tage leben würde, […]“

André Joseph Bouquette und Adrien Bovy: Zur Gruppe der Personen, die in den Jahren 1933 bis 1945 zeitweise im Zuchthaus Lüttringhausen inhaftiert waren und im Zweiten Weltkrieg von dort aus in das KZ Mauthausen eingeliefert wurden, zählen auch die beiden Belgier André Joseph Bouquette (geboren am 14. November 1905 in Liege) und Adrien Bovy (geboren am 13. Februar 1916 in Seraing), die beide, von Wuppertal kommend, am 26. Juni 1943 als Polizeihäftlinge in das Zuchthaus Lüttringhausen eingeliefert wurden. Am 25. August 1943 wurden beide auf Anordnung der Geheimen Staatspolizeileitstelle Düsseldorf vom Zuchthaus Lüttringhausen aus „mit Sammeltransport dem Konzentrationslager Mauthausen zugeführt“. Am 13. September 1943 kamen sie im KZ Mauthausen an, wo sie als „Schutzhäftlinge“ die Häftlingsnummern 34995 bzw. 34996 zugeteilt bekamen. Während André Joseph Bouquette am 14. Februar 1945 im Mauthausen-Nebenlager Ebensee umkam, verstarb Adrien Bovy am 16. April 1945 im Mauthausen-Außenlager Linz III.

Johann Baptist Steinacker: Zu dieser Gruppe gehört auch Johann Baptist Steinacker, der am 14. April 1944 im KZ Mauthausen ermordet wurde und über den eine biographische Skizze vorliegt, die sowohl in dem „Gedenkbuch für die Toten des KZ Mauthausen“ veröffentlicht wurde als auch online einsehbar ist. Steinacker gehört zu den Mauthausen-Opfern, an die mittlerweile ein „Stolperstein gegen das Vergessen“ erinnert.

Wie viele Remscheider Bürger insgesamt in das Konzentrationslager Mauthausen verschleppt wurden, ist bisher unbekannt. Dies gilt auch für die Anzahl der Häftlinge, die vom Zuchthaus Lüttringhausen aus in das genannte KZ überführt wurden.

Literatur und Quellen:

Beitragsfoto: Sowjetische Kriegsgefangene im KZ Mauthausen, Bundesarchiv, Bild 192-208 / Unknown authorUnknown author / CC-BY-SA 3.0, Wikimedia Commons

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.