VON WOLFGANG HORN
Wenn ich mich so umhöre, bei Menschen ganz unterschiedlicher politischer Auffassung, ja, ich habe auch konservative Freunde und Bekannte, dann höre ich so gut wie nie den Simplifizierungsblödsinn, der mir in Medien und im Netz begegnet, und die Ressentiments, die Politiker derzeit unablässig absondern. Nein, die AfD ist jetzt mal nicht gemeint. Es ist in Mode gekommen, wieder einmal, gegen jede Vernunft und gegen jede Statistik, gegen jeden politischen Verstand und gegen jeden sozialen Anstand die Ärmsten gegen die Armen ausspielen zu wollen, die Sozialpolitik zu rasieren, um vermeintlich den Staatshaushalt zu sanieren. Das ist Klassenkampf. Von oben. Um das zu erkennen, muß man kein Marxist sein oder Kommunist. Es reicht der gesunde Menschenverstand. In meinem Umfeld glaubt niemand, daß die Lösung für den Haushalt der Republik Streichorgien beim Bürgergeld wären. Beim Bürgergeld, dem CDU und FDP gleichermaßen zugestimmt haben. Im übrigen: der soziale Flügel der Christdemokraten ist ja ebenfalls nicht überzeugt, im Gegenteil. Und die FDP hat ja keinen sozialen Flügel. Das Verfassungsgericht hat bereits erklärt, daß das soziale Existenzminimum gewahrt bleiben muß und das Bürgergeld nicht beliebige Manövriermasse sein darf. Die enormen Preissteigerungen der letzten Monate müssen sich auch in den Sätzen des Bürgergeldes wiederfinden lassen. Da bleibt kein Spielraum. Vermutlich wissen das auch die Herren Merz und Lindner. Aber es geht um das Ressentiment. Um die Spaltung. Divide et impera. Teile und herrsche. Ob eher konservativ oder eher liberal, eher links oder eher nicht politisch: Meine Mitmenschen wollen überwiegend eine umweltfreundliche Wirtschaft. Sie wollen, dass wir unser Klima schützen, damit auch zukünftige Generationen hier leben können. Die allermeisten, alle möchten auch, dass ältere Menschen, die in Rente sind, in Würde leben können. Sie sollten nicht hungern oder am Ende des Monats zur Tafel gehen müssen. Die Mitbürger in meiner Umgebung wollen, dass soziale Gerechtigkeit gilt. Sie wollen auch, dass Kinder in diesem Land angemessen ausgestattet sind, damit sie lernen können und genug zu essen haben. Niemand sollte hungern müssen. Die Menschen wollen einen sicheren Sozialstaat. Soziale Demokratie bedeutet, soziale Gerechtigkeit und gleichzeitig den Schutz des Klimas für zukünftige Generationen im Blick zu haben. Das alles gilt jenseits von Parteibüchern und Glaubensmanifesten. Die Menschen sind sich einiger, gottlob, als manchen Politikern recht sein kann. Dies ist eine Errungenschaft, ein kostbares Gut, das zu schützen ist. Man kann und muß sich streiten um den richtigen Weg. Aber zivilisiert und immer in Achtung des anderen. Wo immer ich hinhöre, wollen sich die Menschen aber nicht gegeneinander ausspielen lassen. Die Bürger sind klüger, als manche Politiker annehmen.