Migration 

VON WOLFGANG HORN

Der Beitrag wurde am 27. Oktober aktualisiert.

Migration bezieht sich laut der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) auf die Mobilität und langfristige Verlagerung des Lebensmittelpunktes und unterscheidet sich damit vom Tourismus. Es gibt Binnenmigration innerhalb eines Staates oder Migration über Staatsgrenzen. Die Vereinten Nationen (UN) unterscheiden zwischen temporärer Migration mit einem Aufenthalt von drei bis zwölf Monaten und dauerhafter Migration mit einem Aufenthalt von mehr als einem Jahr im Ausland.

In Deutschland gelten laut bpb alle Personen, die im Ausland geboren wurden und nach Deutschland gezogen sind, als Migrant:innen, unabhängig von den Gründen wie beispielsweise Flucht.

Menschen, die sich ohne legalen Aufenthaltsstatus in Deutschland befinden, werden teilweise als “illegale Migrant:innen” bezeichnet. Kein Mensch ist illegal. Die Bezeichnung “irreguläre Migration” ist möglicherweise akzeptabler, da die Verwendung des Begriffs “illegale Migration” unnötig stigmatisierend ist und oft suggeriert wird, dass Migration an sich illegitim ist und gegen Einwanderungs- oder Aufenthaltsgesetze verstößt. Dies fördert Vorurteile und sollte vermieden werden.

Die Genfer Flüchtlingskonvention sieht vor, dass Personen, die auf der Flucht sind und eine unautorisierte Grenzüberquerung vornehmen, nicht bestraft werden dürfen. In Deutschland gelten fast alle Asylsuchenden zunächst als “illegal eingereist”. Sobald sie einen Asylantrag stellen, erhalten sie eine Aufenthaltsgestattung und halten sich dann gesetzeskonform in Deutschland auf.

Als “irreguläre Migrant:innen” werden Ausländer:innen aus Drittstaaten (Nicht-EU-Länder) bezeichnet, die sich ohne Aufenthaltsstatus oder Duldung in Deutschland aufhalten. Von den lokalen Behörden nicht erfasst, werden sie manchmal als “Menschen ohne Papiere” bezeichnet, angelehnt an den französischen Begriff “Sans Papiers”. Obwohl sie in der Regel Dokumente besitzen, haben sie keinen gültigen Aufenthaltstitel in Deutschland. Der Sachverständigenrat für Integration und Migration (SVR) schlägt vor, den Begriff “Migrant:innen mit irregulärem Aufenthalt” anstelle von “irreguläre Migrant:innen” zu verwenden, um zu betonen, dass die Unregelmäßigkeit in ihrem Aufenthalt liegt und nicht in den Personen selbst. Im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern gibt es in Deutschland keine Programme zur sogenannten Regularisierung, daher erhalten Personen in dieser Situation normalerweise eine Duldung.

Eine Duldung gewährt keinen Aufenthaltstitel, der eine Arbeitserlaubnis in Deutschland ermöglicht. Sie dient lediglich als Bescheinigung der Anmeldung und informiert über die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung. Seit 2015 können gut integrierte “langfristig Geduldete” gemäß der Bundeszentrale für politische Bildung einen dauerhaften Aufenthaltsstatus in Deutschland erhalten.

Wer aufgrund von Krieg oder politischer Verfolgung in ein anderes Land flieht, kann dort einen Asylantrag stellen. Im Asylverfahren wird geprüft, ob die Person nach den Kriterien des Asylrechts schutzbedürftig ist oder ob es Gründe gibt, die eine Rückkehr in das Herkunftsland ausschließen. Bei Anerkennung erhält die schutzsuchende Person einen vorübergehenden Aufenthaltsstatus.

Das Asylrecht für politisch Verfolgte ist im Grundgesetz verankert. Asyl wird auch Personen gewährt, die nach der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) als Flüchtlinge gelten. Dies ist der Fall, wenn jemand Verfolgung befürchtet oder bereits erlitten hat. Auch Lebensgefahr und Bedrohung der Freiheit können Gründe für Asyl sein.

Klima und Naturkatastrophen sind in der GFK nicht explizit aufgeführt. Allerdings hat der UN-Generalsekretär António Guterres bereits 2009 auf dem Weltklimagipfel in Kopenhagen darauf hingewiesen, dass der Klimawandel zum Hauptgrund für Flucht werden könnte.

Kriege allein sind grundsätzlich kein ausreichender Grund für Asyl. Wenn ein Asylantrag abgelehnt wird, kann die Person dennoch nach dem deutschen Asylgesetz subsidiären Schutz erhalten. Dies gilt beispielsweise bei drohender Todesstrafe, Folter, unmenschlicher Behandlung oder Krieg.

Flüchtlinge im Sinne der GFK sind Personen, die aus begründeter Furcht vor Verfolgung aufgrund ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Überzeugung aus ihrem Herkunftsland geflohen sind.

Wenn eine Person kein Aufenthaltsrecht mehr hat und einer Ausreiseaufforderung nicht freiwillig nachkommt, kann sie mit Zwangsmitteln von der Polizei ausgewiesen, also abgeschoben werden. Mit der Abschiebung wird ein befristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot verbunden. Eine Abschiebung wird nur durchgeführt, wenn die Ausreise möglich ist, da rechtliche Gründe wie die Verletzung von Grund- oder Menschenrechten einer Abschiebung entgegenstehen können.

Andere faktische Hindernisse können auftreten, wenn eine Person keinen Pass besitzt, das Zielland die Rücknahme verweigert oder seine Grenzen geschlossen hat oder wenn eine Person nicht reise- oder transportfähig ist. Wenn eine Abschiebung nicht möglich ist, erhalten die Betroffenen eine Duldung.

Eine Statistik von Statista zeigt die Anzahl der ausreisepflichtigen Ausländer in Deutschland nach Bundesländern im Jahr 2022 mit und ohne Duldung (Stand 31. Dezember). Demnach gab es am Ende des Jahres 2022 in Nordrhein-Westfalen 74.168 ausreisepflichtige Ausländer, davon 63.611 mit einer Duldung des Staates. Für eine Abschiebung kommen in NRW mithin höchstens 10.557 Personen in Frage. Die Gesamtzahl der ausreisepflichtigen Ausländer in Deutschland betrug 304.308, von denen 248.145 geduldet waren. Es bleiben also aktuell 56.163 Menschen, die für eine Abschiebung in Frage kommen, nicht aber hunderttausende, wie zumeist suggeriert wird.  Genauere Zahlen über Abschiebungen aus Deutschland finden Sie hier.

Ende September lebten im Rheinisch-Bergisch Kreis, wie das Bürgerportal Bergisch Gladbach berichtete, 615 vollziehbar ausreisepflichtige geduldete Personen. Sie kamen überwiegend aus Irak, Nigeria, Guinea, Türkei und Iran. Am Jahresanfang waren das noch 879 Personen. Die Zahl dieser Personengruppe ist seit Jahresanfang nicht aufgrund von erfolgten Abschiebungen deutlich gesunken, sondern weil 273 Aufenthaltserlaubnisse für 18 Monate nach dem neuen „Chancenaufenthaltsrecht“ vergeben wurden. Tatsächlich abgeschoben wurden im Kreis in diesem Jahr bislang 15 Personen. 

Im Kontext von Migration, Asyl und Flucht ist die politische Debatte “von einer erstaunlichen Entfesselung der Sprache” geprägt. So beschreibt Andreas Bernard in einem Artikel mit dem Titel “Migration. Achtung, Scharfmacher” in der heutigen Ausgabe der Süddeutschen Zeitung den Diskurs. Der Ausspruch des Kanzlers “Wir müssen endlich im großen Stil abschieben” wurde vor allem von führenden CDU- und CSU-Politikern genutzt, um den bisher geltenden rhetorischen Anstand aufzugeben.

Friedrich Merz spricht wiederholt von einer “völlig außer Kontrolle geratenen Migration” und argumentiert, dass es an der Zeit ist, dass diese unkontrollierte, ungesteuerte illegale Migration nach dem Winter aufhört.

Jens Spahn, stellvertretender CDU-Vorsitzender, plädiert für die Absperrung der EU-Außengrenzen und formuliert in einer Weise, die vor einigen Wochen selbst in CDU-Kreisen nicht akzeptabel gewesen wäre und allenfalls als Sprache der AfD und Beatrix von Storch durchgewunken worden wäre: “Gegebenenfalls muss man mit physischer Gewalt irreguläre Migrationsbewegungen stoppen.”

Die abscheulichen Verbrechen der Hamas am 7. Oktober und danach werden für innenpolitische Zwecke instrumentalisiert. Die “epochale Terrorattacke, dreitausend Kilometer entfernt” wird, wie Andreas Bernard schreibt, auf einen enthemmten und rigiden Umgang mit Flüchtlingen in Deutschland übertragen. Es handelt sich nicht nur um eine Verschiebung dessen, was gesagt werden kann, sondern auch um eine Enthemmung, bei der ressentimentgeleitete Überlegungen und Forderungen den Raum nach weit rechts verkürzen.

Im Gegensatz dazu sollte die Ermordung von 1500 Zivilisten und die Geiselnahme von weiteren zweihundert Menschen der Moment sein, “an dem die Verdinglichung einzelner Menschen als feindliche Kollektive eher zum Stillstand kommen sollte”, so Andreas Bernard.

Die neue Verrohung der Sprache in Bezug auf Migration zeigt sich in der ständig wiederholten Behauptung, dass dies die letzte Möglichkeit sei, Deutschland vor Überfremdung und dem Verlust einer kulturellen Identität zu schützen. Jens Spahn drückt es besonders drastisch und gedankenlos aus: “Entweder beenden die demokratischen Parteien der Mitte das Thema irreguläre Migration oder die irreguläre Migration beendet die demokratische Mitte.” Die neue Empathielosigkeit in Fragen der Flüchtlinge steht der Gleichgültigkeit gegenüber den Opfern der Hamas in Gaza, Neukölln und anderswo in nichts nach.

“Wir sind kein Einwanderungsland. Wir sind ein Einreiseland. Man reist ein, bleibt und erhält Sozialleistungen”, sagt Jens Spahn, ein wohlhabender Bürger aus dem Münsterland, der offensichtlich alle Hemmungen und Bedenken abgelegt hat, wenn es um die Lage der Menschen in Krisengebieten und ihre Beweggründe geht. Ein Politiker der Mitte auf dem kurzen Weg nach rechts.

Die Darstellung der Flüchtenden als kalkulierende Profiteure von Geldleistungen, wie sie viele CDU- und CSU-Politiker derzeit forcieren, blendet konsequent aus, welches Ausmaß an individueller Not vorhanden sein muss, bevor eine Person in Syrien oder Afghanistan sich dazu entscheidet, unter Einsatz aller materiellen Ressourcen und unter Lebensgefahr ihre Familie zu verlassen und nach Europa zu gelangen. So beschreibt Andreas Bernard diese Geisteshaltung.

Die Morde und Geiselnahmen der Hamas werden auf bedenkliche Weise genutzt, um zumindest sprachlich eine Entmenschlichung in Bezug auf die Migrationspolitik in Deutschland voranzutreiben. Es ist eine Art deutscher Herbst konservativer Radikalisierung.

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