VERGISS ES NIE …

Ein Wort zum Montag, dem 2. Oktober 2023

VON CORNELIA SENG

In Hessen ist demnächst Landtagswahl. Die Straßen sind voll mit Wahlplakaten. „Wo willst Du in 800 Jahren leben?“ – lese ich auf einem der Plakate. Erst halte ich es für einen Scherz. Aber nein, sie meinen es ernst. Die „Partei für schulmedizinische Verjüngungsforschung“ wirbt um meine Stimme.

Ich lebe gerne, aber noch 800 Jahre lang? Eine grausige Vorstellung. Anmaßend klingt das für mich; wie ein weiterer Satz der Schlange im Paradies: „Sollte Gott gesagt haben … ?”

Kann das wirklich gelingen, „schulmedizinische Verjüngungsforschung“?

Wie lebt es sich mit der Überzeugung, vermeintlich alles im Griff zu haben, selbst den eigenen Tod? Sein Ende selbst bestimmen zu können?

Jesus erzählte seinen Schülern und Schülerinnen eine Geschichte. Sie handelt von einem reichen Landwirt (Lk 12,16-21). Nachdem seine Scheunen voll sind, führt er Selbstgespräche: „Liebe Seele, du hast einen großen Vorrat für viele Jahre; habe nun Ruhe, iss und trink und habe guten Mut!“ 

Wie lebt es sich, wenn man sich zu Ruhe und Zufriedenheit ermahnen muss? Zu  Selbst – zufriedenheit? Gewiss, Überraschungen braucht er nicht mehr zu fürchten. Er hat das Leben im Griff. Er fühlt sich satt und sicher. Er hat für alles gesorgt, – vorgesorgt. Wie es anderen geht, darum kümmert er sich nicht. 

„Ehrfurcht vor dem Leben!“ Das berühmte Motto von Albert Schweitzer möchte ich ergänzen: „Ehrfurcht vor dem eigenen Leben!“ Wir haben uns das Leben nicht selber gegeben. Auch das Ende unserer Zeit wird Gott bestimmen. Jeder neue Tag ist für eine Überraschung gut, für eine Entdeckung, für das Geheimnis Gottes. 

Mit den jüngeren Schülerinnen und Schülern habe ich gerne Lieder auswendig gelernt. Zur Verwunderung mancher Kolleginnen. Es ist gut, wenn man das wichtigste „by heart“ kann.

Zum Beispiel das Lied: 

„Vergiss es nie, dass du lebst war keine eigene Idee
und dass du atmest, kein Entschluss von dir!
Vergiss es nie, dass du lebst war eines anderen Idee
und dass Du atmest, sein Geschenk an dich

Auch der kommende Tag war nicht meine eigene Idee und auch nicht, dass ich ihn (noch) erleben darf. Ich packe ihn vorsichtig aus wie ein kostbares Geschenk. Und freue mich auf ihn und die neue Woche. 

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