Das Bildungsver­sprechen

VON WOLFGANG HORN

Ich war der erste in meiner Familie, einer Arbeiterfamilie, der die Höhere Schule besuchen durfte, das Gymnasium, und später auch studieren konnte. Das war damals, zu Beginn der 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts beileibe keine Selbstverständlichkeit. Uns, meinen Eltern hat in dieser Zeit das sozialdemokratische Bildungsversprechen Mut gemacht. Arbeiterkinder waren willkommen. Die Bildungsorientierung hatte auch Eltern erfaßt, die zunächst Angst davor hatten, dass sich ihre Kinder an der Höheren Schule blamieren könnten.

Ohne all das, ohne sozialdemokratische Bildungspolitik hätte ich nicht werden können, was ich bin. Das Bildungsversprechen ist auch heute modern und aktuell. Die Gesellschaft darf kein Kind zurücklassen. Die Kinder aller gesellschaftlicher Schichten haben ein Recht darauf, angemessen gefördert zu werden, unabhängig vom sozialen Status und dem Geldbeutel ihrer Eltern, unabhängig von Religion oder Ethnie, unabhängig von Herkunft oder Hautfarbe. Bildung ist Menschenrecht. Gute Bildungschancen sind eine Frage von Emanzipation und Demokratie. Und, wie immer deutlicher wird, auch von wirtschaftlichem Wohlergehen der ganzen Gesellschaft, die ja händeringend gut qualifizierte Arbeitskräfte sucht.

Dennoch verlassen Jahr für Jahr immer noch etwa 80.000 Kinder und Jugendliche ohne jeden Schulabschluss die Schule. Jedes Jahr bleiben 16 Prozent eines Jahrgangs ohne Berufsausbildung. Der aktuelle Armutsbericht macht deutlich: Einkommen und Bildung verteilen sich immer ungleichmäßiger, die Mittelschicht bröckelt. Eltern, die selbst den sozialen Aufstieg geschafft haben, fürchten den sozialen Abstieg ihrer Sprösslinge. Die Gesellschaft aber darf sich nicht damit abfinden, dass eine verlorene, eine lost Generation heranwächst. Deswegen müssen alle Eltern darin unterstützt werden, nur das Beste für die Kinder zu wollen. Deshalb schicken sie sie auf die besten Schulen. Deshalb fördern sie den Nachwuchs auf vielen Ebenen. Bildung ist der Hebel für sozialen Aufstieg, das Schild gegen Armut.

Das Bildungsversprechen, daß alle Kinder in Wermelskirchen gut, sehr gut beschult, daß sie in ihrer Heimatstadt gefördert werden, ohne lange Bus- oder Bahnreisen in Anspruch nehmen zu können, ein solches Bildungsversprechen hat Wirkungsmacht. Die Eltern in Wermelskirchen, die mit Haupt, Real- oder Sekundarschule nun weiß Gott nicht die allerbesten Erfahrungen gemacht haben, haben der neuen Gesamtschule Anmeldezahlen beschert, die es erforderlich machten, sechs Parallelklassen einzurichten. Die Gesamtschule ist die Schule der elterlichen Wahl. Das alles im Vertrauen auf das seitens Verwaltung und Politik gegebenen Versprechens. Die Gesamtschule nimmt alle Kinder auf. Kein Schüler, keine Schülerin muß nach Burscheid, Odenthal oder Hückeswagen auswandern.

Der Schulentwicklungsplan, ein Zahlenwerk, das die Entwicklung der Schülerzahlen in den kommenden Jahren wissenschaftlich gesichert prognostiziert, sagt aus, daß mehr Schülerinnen und Schüler auf die hiesige Schullandschaft zukommen werden. Mit einer nur fünfzügigen Gesamtschule wird man dem Bedarf voraussichtlich kaum gerecht werden können, abgesehen von den Schülern, die beispielsweise das Gymnasium verlassen, oder jenen, die aus Nachbarstädten nach Wermelskirchen kommen.

Welche Gründe die CDU bewogen haben, den Schulentwicklungsplan zum Fischeinwicklungspapier zu degradieren, ist mir nicht bekannt. Der CDU hat man ja die Gesamtschule immer abringen müssen. Da nun aber die Realschule Geschichte ist und die Sekundarschule abgewickelt wird, bleibt nur die Gesamtschule. Die bürgerliche Partei tut sich schwer mit Bildungsgerechtigkeit. Immer noch. Sie ist, jedenfalls hier, wie in alten Tagen dem alten Denken verpflichtet. Die Elite wird im Gymnasium ausgebildet. Und das Bildungsversprechen wurde nicht in der christlich-konservativen Ecke der politischen Landschaft entwickelt und propagiert. Das waren Sozialdemokraten und auch sozial-liberale Freidemokraten.

Kurzum: Unter diesen obwaltenden Umständen hätte ich fest damit gerechnet, daß sich die SPD in Wermelskirchen ebenso wie die Grünen und die FDP für die Sechszügigkeit der Gesamtschule stark macht. Die vielen Eltern, die Lehrer, aber auch die Unternehmen und die Wirtschaft, sie alle hätten den sozialdemokratischen Beistand verdient. Nichts darf bleiben, wie es ist, wenn es nicht gut genug ist. Diese Maxime, sich nicht einzurichten, es sich nicht bequem zu machen, Sperrigkeit und Widerstand zu zeigen, das ist für mich sozialdemokratische Politik. Alles andere ist die Verbeugung, der Kotau vor dem stummen Zwang der Verhältnisse.

Wenn der Platz dort, wo die Schule jetzt steht, nicht ausreicht, muß man die Kreativität der ganzen Stadt mobilisieren. Jedenfalls darf man nicht klein-klein denken, in der Verwaltungslogik verharren, nicht die drittbeste Lösung anbeten. Wenn der Platz nicht ausreicht, ist Politik gefragt.

Die hat gestern Abend komplett versagt. Mit Ausnahme von FDP und Grünen. Dank an diese.

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