VOM LEBEN IN DER WOLKE

Ein WORT ZUM MONTAG, dem 24.Juli 2023

VON CORNELIA SENG

Das Tschilpen ist schon von weitem zu hören. In den Bäumen nahe der Elbe muss ein Schwarm Vögel sitzen. Wie auf Kommando fliegen sie auf. Diese Schwarmbildung der Stare sei ein „einzigartiges Naturschauspiel“, heißt es im Internet. Es gibt kein Leittier. Stare orientieren sich aneinander. Sie halten Kontakt. Und fliegen gemeinsam mit großer Geschwindigkeit. Es ist ein eindrucksvoller Anblick. Wie eine kleine schwarze Wolke erscheinen sie am Himmel. 

Manchmal war ich allein beim Präsenzdienst in der Klosterkirche in Jerichow. Gegen Abend kamen die Besucher seltener. Dann hatte ich Zeit, mir Gedanken zu machen. Wer in dieser schönen alten Kirche wohl schon ein und aus gegangen sein mag? Während der rund 800 Jahre seit ihres Bestehens? Was mag die Chorherren beschäftigt haben, die mehrmals täglich zum Gebet kamen? Sie orientierten sich an Norbert von Xanten, dem Gründer des Ordens der Prämonstratenser. Ein Denkmal von Isfried, einem wichtigen Prior, steht heute im Innenhof des Kreuzgangs. Und nach ihnen haben noch viele Menschen hier gesungen und gebetet. Die Evangelische Kirchengemeinde feiert seit Jahrhunderten sonntags hier Gottesdienst. Eine Gruppe aus der Gemeinde trifft sich jeden Tag zum Morgengebet. 

Der Hebräerbrief spricht von der „Wolke von Zeugen“, die uns umgibt (Hebr 12). Die Väter und Mütter im Glauben haben oft Schweres erlebt, und doch haben sie nicht aufgegeben. Sie haben die Hoffnung durchgehalten. Und waren Menschen des Vertrauens. Orientiert euch an Abraham, zum Beispiel. Er zog in die Fremde im Vertrauen auf Gott. Und an Rahab, die einst die Männer aus Israel freundlich aufgenommen hat. An ihnen allen orientiert euch!

Natürlich umgibt uns diese „Wolke“ nicht nur in einer alten Kirche. Das weiß ich. Nur ist es hier leichter, ihre Gegenwart zu spüren. Und die Ermutigung, die von dieser “Wolke” ausgeht. 

„Der Geist ist keine Einzelgabe für starke Individuen, er erschließt sich in der Gemeinschaft“, hat die österreichische Ordensfrau Michaela Puzicha gesagt. 

Der Schwarm der Stare fliegt im Herbst in den Süden. Das eindrucksvolle Naturschauspiel in den Elbauen wird mich noch eine Weile begleiten. Und an die „Wolke“ erinnern, die uns umgibt.

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