VON WOLFGANG HORN
Heute ist der Tag der Befreiung. Am achten Mai 1945 war der Spuk des Faschismus in Deutschland und Europa zu Ende, jedenfalls zunächst. Die Sowjetunion und die Alliierten haben die Menschen unter großen Opfern vom deutschen Nationalsozialismus befreit. Die Sowjetunion hatte besonders unter den Nazis gelitten. Kein anderes Land hatte so viele Weltkriegstote zu beklagen wie die Sowjetunion, in der sich Russland und die heutige Ukraine befanden. Etwa 20 Millionen Menschen der Sowjetunion fielen bis 1945 der Aggression Nazideutschlands zum Opfer, auf den Schlachtfeldern, hinter dem Stacheldraht von Kriegsgefangenenlagern, in denen die Deutschen ihre Gefangenen gezielt sterben ließen, in den Erdgruben in der heutigen Ukraine, wo die “Einsatzgruppen” der SS jüdische Menschen, Roma und Kommunisten zu Hunderttausenden per Genickschuss ermordeten.
Wir, die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland, haben allen Grund, uns bei den Menschen der ehemaligen Sowjetunion, also den Bürgerinnen und Bürgern Rußlands und der Ukraine zu bedanken. Für die Befreiung von Auschwitz. Für die Befreiung des Ostens Deutschlands. So widerwärtig die Regierung des sowjetischen Nachfolgestaats Russische Föderation auch operiert, im Inland als diktatorisches Regime gegen Kritik und abweichende Meinungen in der eigenen Bevölkerung und im Ausland mit einem verbrecherischen Angriffskrieg gegen die Ukraine, so sehr darf doch gerade in Deutschland die historische Lektion nicht vergessen werden: Die Sowjetunion und ihre Menschen im wesentlichen haben Deutschland und Europa von der Nazidiktatur befreit. Dafür gebührt ihnen ewiger Dank.
Wir könnten nicht in Freiheit leben, in einem demokratischen Rechtsstaat mit Gewaltenteilung und Meinungs- und Pressefreiheit, mit dem Recht sich öffentlich zu versammeln und die eigenen Meinung kundzutun, hätten nicht die sowjetischen Menschen ihr Land erfolgreich gegen Deutschland verteidigt und dabei all das Leid in Kauf genommen, das mit den vielen Millionen Toten und den unzähligen Verletzungen an Leib und Seele verbunden war und ist. Umso furchtbarer ist es, daß die Menschen in Rußland gezwungen sind, unter diktatorischen Bedingungen zu leben, daß sie sich nicht gegen den Krieg gegen die Ukraine zur Wehr setzen können, daß sie Kritik an der Obrigkeit und ihre Meinung nicht öffentlich äußern dürfen. Sie, die Sieger in der Geschichte, sind der Verfolgung ausgesetzt und der staatlichen Willkür, der Bedrohung an Leib und Leben, einem menschenverachtenden Regime. Ich wünsche mir, daß es ein baldiges Ende hat mit der Putinschen Diktatur und dem furchtbaren Krieg gegen das Nachbarvolk. Möglichst vor dem nächsten achten Mai.