Jede Sprache ist irgendwo manipulativ

Theologe Kurt Erlemann organisiert die Ringvorlesung „Fakten. Propaganda. Fake News. Was können wir noch glauben?“ in der CityKirche Elberfeld.

VON UWE BLASS

Die Mondlandung gab es nicht, ‚Elvis lebt’ oder ´Krebs lässt sich natürlich behandeln`, sind nur drei Beispiele von Falschmeldungen, die viele Menschen an der Wahrheit zweifeln lassen. Nachrichten zum Kriegsgeschehen in der Ukraine können nicht auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft werden, zur Coronapandemie hat es in den vergangenen Jahren unzählige Meldungen gegeben, die mehr verwirren als aufklären. Die Bundesregierung hat für den Umgang mit Desinformationen sogar eine eigene Internetseite eingerichtet. Was können wir also noch glauben? Mit diesem Thema setzt sich eine Ringvorlesung der Bergischen Universität auseinander, die unter Leitung des Theologen Prof. Dr. Kurt Erlemann in der Citykirche Elberfeld organisiert wurde und in zehn Vorträgen Verständnishilfen anbietet.

Gibt es objektive Wahrheiten?

„Das, was wir im Moment erleben, ist“, sagt Kurt Erlemann, „dass wir glaubwürdige und unglaubwürdige Meldungen nicht mehr unterscheiden können!“ Verschwörungstheorien und Kriegspropaganda seien für den Nutzer oft nicht mehr erkennbar, unseriöse Nachrichtenkanäle pushen zudem diese Informationen und es gehe in der Ringvorlesung darum, die Unterschiede der Berichterstattung aus verschiedenen Blickwinkeln zu beleuchten. „Mit den Referent:innen wollen wir das herausarbeiten.“ Dazu komme die Frage nach dem grundsätzlichen Wahrheitsgehalt einer Information. Erlemann macht es an einem einfachen Beispiel deutlich: „Nehmen wir einen Verkehrsunfall. Die Polizei kommt, befragt drei Zeugen zum Geschehen und bekommt drei unterschiedliche Versionen. Also Wahrheit ist immer auch etwas Subjektives, und die Frage ist: Was bedeutet das nun für den Erkenntnisgewinn, für die Vertrauenswürdigkeit von Wahrheit, wenn wir wissen, sie ist immer perspektivisch. Sie ist nie in diesem Sinn objektiv, denn das kann sie nicht sein.“

Inhalte verstehen lernen

Ziel dieser Vortragsreihe ist die Stärkung der Kompetenz von Studierenden und von Menschen im Berufsleben, kulturelle Inhalte zu verstehen und zu vermitteln. Dabei weist schon der Titel der Reihe auf das Problem hin. Was können wir noch glauben in Bezug auf faktuales und fiktionales Erzählen? Welchen Wahrheitsgehalt hat Werbung, vertritt Journalismus, erhalten wir über Social Media, propagiert Propaganda oder verneinen Fake News? Um dies zu erläutern, wählte Erlemann eine interdisziplinäre Vorgehensweise und engagierte einen illustren Referentenkreis mit ausgewiesenen Fachleuten. „Wir haben Beiträge aus der Erzählforschung -also was ist z.B. der Wahrheitsanspruch einer Erzählung im Unterschied zu einem journalistischen Bericht?-, wir haben Rhetoriker, Kommunikationsdesigner, Philosophen, Linguisten, Diskursanalytiker, Unternehmensberater, Lehramtsausbilder, wir haben Fachleute aus Funk und Fernsehen, Journalisten sowie Politikberater an Bord. Das ganze Thema Wahrheit ist multiperspektivisch zu betrachten, und so gehen wir es auch an.“ Unterschieden werden schriftliche Genres, die zeigten, dass Märchen nicht gleich Pressemeldungen seien, erklärt der Wissenschaftler. Es gehe um Manipulationen, deren Motive, Möglichkeiten und Formen beleuchtet würden, denn, so sagt er: „Jede Sprache ist irgendwo manipulativ, aber es gibt Grenzen des Seriösen, und das gilt es herauszufinden.“ Alle Vorträge bieten Interaktion und arbeiten mit plausiblen Beispielen für die Zuhörerschaft.

Eine verlässliche Wahrheit

Die Ringvorlesung will den Menschen eine Orientierungshilfe bei der Frage, was eine ´verlässliche Wahrheit` ist, geben. Erlemann formuliert es so: „Verlässlich ist Wahrheit dann, wenn der Inhalt des Gesagten bzw. Geschriebenen überprüfbar ist, wenn seine Entstehung transparent ist und wenn seine Wirkung kongruent ist, das heißt: wenn sich das Gesagte oder Geschriebene nicht als Illusion oder schlichtweg als falsch herausstellt. Wahrheit im christlich-theologischen Sinne ist etwas, was verlässlich ist, was in seiner Wirkung heilsam ist. Da hat man auch schon ein gutes Kriterium, um zwischen einer verlässlichen Wahrheit und Propaganda zu unterscheiden, denn Propaganda dient nicht unbedingt einem heilsamen Zweck.“

Zielgruppenansprache mit Wuppertaler Start-up

In Zeiten der Digitalisierung erreichen uns heute viele Nachrichten über Social Media- Plattformen. Twitter, Tik Tok und Co. haben aber auch ihre Tücken, verbreiten oftmals Unwahrheiten und heizen die Userstimmung dadurch auf. Unter dem Titel „Alles, was im Internet steht, ist wahr“ berichtet z.B. Sophia Klewer, Mitarbeiterin im Wuppertaler Start-up-Unternehmen PREVENCY® GmbH, über die Chancen und Risiken der sozialen Medien und deren Einfluss auf unser Verständnis von Wahrheit. „Durch Social Media erreicht man eine ganz andere Dimension von Kommunikation“, erklärt Erlemann, „und die ist nicht immer nur positiv.“

Fake News erkennen

Ein anderer Vortrag beschäftigt sich mit Fake News, die immer mehr Bedeutung auch im schulischen Unterricht einnehmen, die man aber erst einmal sprachlich erkennen muss. „Wenn man sich nur die Genderdebatte anschaut, wird uns ja von allen Seiten gezeigt, wie Sprache auch bestimmte Klischees, Wirklichkeiten, Bilder und Vorurteile transportiert, deren wir uns nicht immer bewusst sind. Das hat tatsächlich einen Einfluss auf unsere Sicht von Wirklichkeit, auf die Art und Weise, wie wir mit Sprache umgehen“, sagt Erlemann. Eine besondere Anforderung komme dabei auf das Lehrpersonal an Schulen zu, deren wichtige Aufgabe darin bestehe, Schülerinnen und Schüler in diese Richtung zu sensibilisieren, denn Verschwörungstheorien bestimmten nicht selten auch den Diskurs in Schule und Unterricht. 

Propaganda – eine manipulative Sprachnutzung

Auch das Thema Propaganda nimmt die Ringvorlesung auf. Gerade im Hinblick auf den Ukraine-Krieg ist es für Jung und Alt schwierig, Wahrheiten zu erkennen. Dr. Bernd Zywietz, Leiter des Bereichs Politischer Extremismus vom Verein Netzwerk Terrorismusforschung informiert über die Geschichte des Begriffs und dessen Entwicklung bis zur heutigen Nutzung in den Sozialen Medien. Der Vortrag bietet u.a. auch Hilfestellungen, um mit manipulativer Sprache umzugehen.

Den Auftakt der Ringvorlesung macht am 20. April der Publizist Prof. Dr. Volker Friedrich von der Hochschule Konstanz. „Er ist Professor für Kommunikationsdesign und Rhetorik“, ergänzt Erlemann, „und wird uns mit auf eine Reise nehmen, in der es um die Verhältnisbestimmung von Wahrheit und Rhetorik geht, auf eine Kriteriensuche, um zwischen berechtigtem Werben für Überzeugungen und populistischer Überredung unterscheiden zu können.“

Alle kostenfreien Veranstaltungen beginnen um 18:30 Uhr jeweils donnerstags in der CityKirche Elberfeld, Kirchplatz 2. Alle Termine unter https://hermeneutik.uni-wuppertal.de/de/ringvorlesung-fakten/

(Ein gemeinsames Projekt mit der uniweiten Projektgruppe „Angewandte Hermeneutik“ und dem Zentrum für Weiterbildung der BUW)

Kurt Erlemann studierte Evangelische Theologie in München, Zürich und Heidelberg. Er promovierte 1986 und arbeitete anschließend als Vikar der Badischen Landeskirche sowie als Schulpfarrer. Nach seiner Habilitation übernahm er Lehrstuhlvertretungen in Hamburg und Koblenz. Seit 1996 leitet er den Lehrstuhl für Neues Testament und Geschichte der Alten Kirche an der Bergischen Universität.

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.