Ein Wort zum Montag, dem 13. März 2023
VON CORNELIA SENG
Damals … war ich eine ganz junge Pfarrerin und nur wenige Tage im Amt, als es an der Haustüre klingelte. Vor mir stand ein nicht mehr ganz junger, ordentlich gekleideter Mann und bat um ein persönliches Gespräch. War er einer meiner neuen Gemeindeglieder? Er erzählte mir eine lange, verwickelte Geschichte. Er sei in Not geraten. Und ja, etwas Geld würde ihm helfen. Ob fünfzig Mark reichen? Ja, er würde es auch abarbeiten. Den Rasen mähen zum Beispiel. Als er den Geldschein in der Hand hielt, zitterten seine Hände, und er hatte es plötzlich sehr eilig, wegzukommen. Ich konnte ihm gerade noch „Alles Gute“ hinterherrufen. Als ich wieder am Schreibtisch saß, wurde es mir plötzlich klar: Ich war auf einen Betrüger hereingefallen. Warum hatte ich die Wahrheit nicht schon früher erkannt? Wollte, konnte ich die Wahrheit nicht sehen?
„Was ist Wahrheit“? – fragt der römische Statthalter Pilatus Jesus beim Verhör. Es klingt, als zuckte er dabei die Achseln. Jesus hatte von sich als Zeugen der Wahrheit gesprochen und gesagt: „Wer aus der Wahrheit ist, der hört meine Stimme“ (Joh 18,37). Doch Pilatus sah sie nicht und hörte sie nicht, die Wahrheit Gottes, von der Jesus sprach. Er sah sie so wenig, wie ich damals den Betrug des gestanden Mannes, der an der Hausstüre geklingelt hatte, gesehen habe.
Unser Erkennen ist „Stückwerk“, sagt der Apostel Paulus (1.Kor 13,9). Von einem „dunklen Bild“ (V.12) spricht er im Blick auf unser Erkenntnisvermögen. Wir haben enge Grenzen, was das Erkennen der Wahrheit angeht. Sagt Jesus deshalb nach seiner Predigt oft: „Wer Ohren hat zu hören, der höre?“ Hören ist nicht gleich Hören und Sehen nicht gleich Sehen. Das Bild entsteht in unserem Kopf. Oder ist es das Herz?
Als die Emmausjünger mit dem auferstandenen Jesus unterwegs sind, erkennen sie ihn nicht. „Ihre Augen wurden gehalten“, heißt es im Evangelium nach Lukas. In einem langen Gespräch hat Jesus ihnen den Sinn seiner Leidensgeschichte erklärt. Wir brauchen das Gespräch miteinander. Wie siehst Du die Sache mit Jesus? Wie verstehst Du den Bibeltext? Wie haben „die Alten“ ihn verstanden? Wie muss heute darüber gedacht werden?
Später heißt es in derselben Geschichte: „Da wurden ihre Augen geöffnet, und sie erkannten ihn“ (Lk 24,31). Um offene Augen und Ohren kann man Gott bitten. Und um einen klaren Geist. Auch für dieses Gebet gibt die Passionszeit Raum.
Gib uns Ohren, die hören, und Augen, die sehn,
und ein weites Herz, andre zu verstehn.
Gott, gib uns Mut, unsre Wege zu gehn!