Ein Wort zum Montag, dem 7. November 2022
VON CORNELIA SENG
Mein kleiner Enkel Emil trägt jetzt die kleine Strickjacke, die vor ihm schon seine Mutter, seine Tante und sein Onkel getragen haben. Ein Familienerbstück. Ganz herzallerliebst sieht er darin aus. Meine Mutter hat sie gestrickt, vor fast vierzig Jahren. Damals war sie schon älter, als ich jetzt bin, und ihre Hände wollten nicht mehr richtig. Wie stolz und dankbar war sie, dass ihr dieses schone rote Jäckchen noch gelungen war. Obwohl sie gut handarbeiten konnte, nahm sie es nie als selbstverständlich hin, wenn ihr etwas geglückt war. Wie sehr würde es sie freuen, wenn sie jetzt ihren ersten Urenkel in ihrem Werk von damals sehen könnte!
Ich ertappe mich dabei, wie ich leise mit ihr rede: „Danke, Mutter! Für Deine Fürsorge. Sie reicht bis heute. Sie wärmt auch noch die nächste Generation. Oft lese ich im Jahresbegleitbuch von Frère Roger, dem langjährigen Abt der Gemeinschaft von Taize. Am 2. November heißt es da: „Wer auf die Auferstehung vertraut, begreift, dass die Gemeinschaft zwischen den Glaubenden mit dem Tod nicht abbricht. In der Einfachheit des Herzens konnen wir die Menschen, die wir lieben und die uns ins Leben der Ewigkeit vorausgegangen sind, bitten: Bete für mich, bete mit mir! Während ihres Lebens auf der Erde haben sie uns mit ihrem Gebet unterstützt. Wie könnten wir nach ihrem Tod aufhören, darauf zu bauen?”
Darf ich Mutter bitten, mich im Gebet für Emil zu unterstützen? Darf ich sie bitten, mit mir zu beten, dass sein Leben gelingen mag in dieser schwierigen Zeit? Zur Vermittlung zwischen mir und Gott brauche ich sie nicht. Auch nicht die Heiligen und nicht die Jungfrau Maria. Ich habe gelernt, mich direkt an den Vater im Himmel wenden. So hat es Jesus gelehrt. Und das ist evangelischer Glaube. Aber die Verbundenheit mit der Generation vor mir tut gut. Und warum sollte sie mit dem Tod zu Ende sein?
Der Urenkel wäre Mutter eine Freude. Sie würde ihm wieder eine Jacke stricken. Meint Jesus das in der Diskussion über die Auferstehung, als er sagt: „Gott ist nicht ein Gott der Toten, sondern der Lebenden; denn ihm leben sie alle“ (Lk 20,38)
„Denn ihm leben sie alle” – die rote Strickjacke hat mich daran wieder erinnert. Bestimmt haben Sie auch solche Erinnerungsstücke. Es muss ja keine Strickjacke sein!