Das UND DOCH !

Ein Wort zum Montag, dem 24. Oktober 2022 

VON CORNELIA SENG

Der Baum vor unserem Haus hat wunderbar goldfarbene Blätter. Manche Zweige sind schon kahl, die Blätter fallen. Das Herbstgedicht von R.M. Rilke fällt mir ein: “Die Blätter fallen, fallen wie von weit. Als welkten in den Himmeln ferne Gärten. Sie fallen mit verneinender Gebärde. …“ Die letzten Zeilen haben es mir besonders angetan. Oft sage ich sie mir still auf. “UND DOCH ist Einer, welcher dieses Fallen unendlich sanft in seinen Händen hält.”

Wie ein Widerspruch klingt das UND DOCH! Die Blätter fallen … und doch ist der Herbst nicht das Ende. Nur eine Jahreszeit im Kreislauf der Natur. Angesichts des Sterbens in der Natur fällt mir das UND DOCH noch relativ leicht: So ist es in der Natur vorgesehen – wir alle fallen. Und doch!

Bei der Trauerfeier für einen jungen, unerwartet verstorbenen Kollegen habe ich das Gedicht zitiert. Da klang es leise, das UND DOCH. Traurig.

Angesichts des Krieges in der Ukraine fällt das UND DOCH trotzig aus. Hinter dem sinnlosen Sterben und der Zerstörung hat doch Gott das letzte Wort. Nicht die selbsterkorenen Machthaber! Beim Nachdenken über die Ungerechtigkeit in der Welt – die Reichen werden reicher, und die Armen ärmer – klingt es widerständig, das UND DOCH. Täuscht euch nicht, Gott lässt sich nicht spotten!

In der Regel lese ich jeden Tag den vorgeschlagenen Text aus der Bibel. In diesen Tagen sind es Abschnitte aus der Offenbarung, dem letzten Buch in der Bibel. Der Verfasser der Offenbarung, der Prophet und Seher Johannes, schreibt viel in Bildern. Sie zu erklären, fällt mir nicht leicht. Was meint er damit? Was will er damit sagen? Eins weiß ich: Es geht ihm um das UND DOCH! Hinter all der Gefährdung, der Verwirrung und der sinnlosen Zerstörung – auch heute – hat Gott die Fäden in der Hand. Er regiert! Jesus Christus wird die Herrschaft antreten! “Es sind die Reiche der Welt unseres Herrn und seines Christus geworden, und er wird regieren von Ewigkeit zu Ewigkeit” (Offb.11,15a). So klingt das bei dem Seher Johannes. Bei Rilke heißt es einfach: “Und doch ist Einer!”

UND DOCH sage ich hoffnungsvoll. Und freue mich an dem farbigen Laub.

Herbstgedicht

Die Blätter fallen, fallen wie von weit,
als welkten in den Himmeln ferne Gärten;
sie fallen mit verneinender Gebärde.

Und in den Nächten fällt die schwere Erde
aus allen Sternen in die Einsamkeit.

Wir alle fallen. Diese Hand da fällt.
Und sieh dir andre an: es ist in allen.

Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen
unendlich sanft in seinen Händen hält.

Rainer Maria Rilke

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