Wie ich das Wichtigste gelernt habe

Ein Wort zum Montag, dem 17. Oktober 2022 

VON CORNELIA SENG

Es ist ein Wiedersehen nach rund fünfzig Jahren. Damals haben wir als junge Student:innen der Theologie in Bethel begonnen. Schon 1867 war in Bethel eine Krankenanstalt für Epilepsiekranke gegründet worden. Friedrich von Bodelschwingh und sein Sohn haben die Anstalt dann weiter ausgebaut. 1905 kam die „Theologische Hochschule“ dazu. Mitten zwischen Krankenhäusern und Wohnheimen lag sie, auch die Studentenwohnheime. Keine zwanzig Jahre waren wir alt, als wir damals anfingen! Beim Treffen in dieser Woche haben wir Erinnerungen und Anekdoten aus dieser Zeit ausgetauscht.

So bekam Ruth gleich am ersten Abend Besuch von Wolfgang, einem der Patienten. Ob er ihr etwas vorsingen dürfe, hat er gefragt. Er durfte und hat vier Strophen von „Hänschen klein“ gesungen. Überhaupt war der Frauenflur beliebt. Wenn Heinrich zu Besuch kam, war der Teller mit dem Weihnachtsgebäck von Zuhause anschließend leer. Die Männer hatten einen Helm auf, der sie bei Anfällen schützen sollte. Mit der Zeit konnte ich mich über ihre Besuche richtig freuen.

Ein anderer Mitstudent erinnert sich, wie er sich einmal zum Lernen in das Gelände zurückziehen wollte. Und traf auf eine der alten „Sarepta“-Schwestern, der Schwesternschft in Bethel. Sie habe Friedrich von Bodelschwingh (gest.1946) noch persönlich gekannt, erzählte sie ihm. Und berichtet, was ihr in Erinnerung geblieben ist von ihm. „Ihr seid die eigentlichen Lehrer der Studenten und auch der Professoren“, habe v. Bodelschwingh in einer Predigt den Bewohnern von Bethel damals gesagt. Alle haben geklatscht und sich gefreut.

Was ich als junge Studentin gelernt habe in Bethel? Was ich mitgenommen habe? Ich erinnere mich an ernste Gedanken über die Gottebenbildlichkeit des Menschen. Der zentrale Satz in der Schöpfungsgeschichte lautet ja: „Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn“. Es kann nicht am Verstand oder den besonderen Fähigkeiten des Menschen liegen, dass der Mensch ein Ebenbild Gottes ist. Gottes Antlitz leuchtet erst recht in den versehrten und leidenden Menschen auf. Das ist ein Geheimnis. Ein Geheimnis, das in Jesus offenkundig geworden ist.

Kein Mensch ist „nur“ ein Kranker, „nur“ ein Flüchtling oder „nur“ eine Frau. Jeder und jede ist von Gott gewollt und geliebt und hat ein Recht darauf, dass wir ihn / sie achten. Das habe ich in Bethel gelernt. Es war vielleicht das Wichtigste.

„Jeder Mensch, auch der geringste, ist so in Gottes Hand, als wäre er Gottes einzigste Sorge.“
Friedrich von Bodelschwingh

Eines der Krankenhäuser in Bethel © Cornelia Seng

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