Ein Wort zum Montag, dem 15. August 2022
VON CORNELIA SENG
Das kleine Mädchen erstürmt die Treppe zur Empore. Gleich darauf erscheint ihr buntes Sonnenhütchen über der Brüstung. Was es hier alles zu entdecken gibt! Wieviel Räume, Seitenkapellen, der Chorraum, die Krypta …
Überhaupt: Wieviel Platz hier ist! Ein beeindruckend gestalteter, weiter hoher Raum. Ich sitze in der Klosterkirche von Jerichow. Aus Backsteinen wurde sie gebaut im 12. Jahrhundert. Sie sei die älteste Backsteinkirche nördlich der Alpen, heißt es. Und sie ist sehr gut in ihrer ursprünglichen Form erhalten. Damals haben die Italiener diese Bauart hierher in den Norden gebracht. Von dem Orden der Prämonstratenser wurde das Kloster gebaut. Prämonstratenser waren Chorherren, Priester, die hier in klösterlicher Gemeinschaft zusammen lebten. Die Räume zum Essen und Studieren im Kloster sind vergleichsweise klein und eng. Aber die Kirche ist groß, hoch und geräumig. Soviel Platz nur zum Singen und Beten? Soviel Raum allein zur Ehre Gottes? Ein sichtbarer Raum für Gott mitten unter uns. Mitten in dieser Welt.
Heute erkunden Touristen den Raum. Kinder laufen in jeden Winkel. Entdecken, was vor fast tausend Jahren gebaut wurde. Bestaunen den Raum, der allein zur Ehre Gottes dient. In dem flachen Land sind die Türme weithin sichtbar.
Ob Jesus das meinte, als er den Jüngern sagte: „Ihr seid das Licht der Welt. Es kann die Stadt, die auf einem Berge liegt, nicht verborgen sein“ (Mt 5,14)? Und was ist mit Gerechtigkeit, Barmherzigkeit und Liebe? Im Kapitelsaal wurden täglich Kapitel aus der Bibel und aus den Schriften des Kirchenvaters Augustinus gelesen. Diese Worte Jesu waren sicher auch dabei.
Noch heute werden hier Worte Jesu gelesen: Die Kirchengemeinde feiert sonntags in dieser Kirche ihren Gottesdienst, und täglich trifft sich eine kleine Gruppe aus der Gemeinde zum Morgengebet. In der letzten Woche wurde das Gebet eingeleitet mit dem Wochenspruch: „Wandelt als Kinder des Lichts; die Frucht des Lichts ist lauter Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit“ (Eph 5, 8b.9).
Ob wir in unserer Zeit heute das mit „Güte, Gerechtigkeit und Wahrheit“ auch so beeindruckend und weithin sichtbar hinkriegen wie die ersten Priester und Mönche von damals?
PS: Schon vor der Reformationszeit sind die Mönche in Verruf geraten. Sie lebten gut von den angrenzenden Ländereien. Kirche und Macht, Kirche und Profit waren noch nie eine gute Lösung.