MEINE DOCUMENTA

VII. IST DAS SCHON KUNST? 

VON CORNELIA SENG

Auf dem Tisch vor uns liegen hellblaue Papierschnipsel, „the sun“ steht darauf, „inside the moon“ oder auch „getting drunk“. Es gibt eine Fülle solcher Schnipsel. Die Anleitung fordert uns auf, sie zu mischen und zusammen zu legen. „Poemix – poetry game“ heißt das Spiel, ein Beitrag des Kollektivs Alan Yard aus Puerto Rico. Was „mixen“ wir? Was ergibt Sinn oder wird gar ein Gedicht?

Ich bin zusammen mit Gabi, einer weiteren OMA GEGEN RECHTS, auf der Documenta in Kassel am Ausstellungsort WH22. Zusammen mit zwei anderen Besucherinnen versuchen wir spontan zu dichten. Unsere Einfälle amüsieren uns. Freundlich ergänzen wir unsere Ideen. Am Ende machen wir Fotos. Sie werden gepostet.

„War das jetzt Kunst?“ – fragen wir uns. Unter Kunst haben wir bisher das Werk eines Könners verstanden. Die bewundernswerte Leistung eines Einzelnen, möglichst eines Genies. Wir haben uns davor gestellt und ah 🤗 oder oh 🤔 gesagt. Manchmal auch 🥱.

Auf dieser Documenta ist das anders. Wir werden ermutigt, miteinander Kontakt aufzunehmen und etwas für diesen Moment zu erschaffen. Am Wochenende ist „Lumbung of Publishers“, eine Art Verkaufsausstellung der beteiligten unabhängigen Verlage. „Poemix“ kaufe ich bei einem Mitglied des Kollektivs aus Puerto Rico. Die Verpackung gefällt mir, sie ist einfach und schlicht. Hier hat sich jemand Gedanken gemacht über Ästhetik und Nachhaltigkeit der Verpackung. Die junge Frau hinter dem Verkaufstisch freut sich über meine Anerkennung. Ist das jetzt Kunst?

Ruangrupa, die Kuratoren dieser Documenta Fifteen, verstehen das so. Die Einleitung im Handbuch zu dieser Documenta schließt mit dem Satz: „Und denken Sie daran: ‚Make friends, not art‘!“ Ein erstaunlicher Satz für die Weltkunstausstellung. Ein sympathischer Satz. Er erinnert mich an Martin Luther King. Der trat für einen Lebensstil der Gewaltfreiheit ein. Prinzip zwei seiner Thesen lautet: „Non-violence seeks to win friendship and understanding.“

Auch das passiert auf der Documenta, abseits des „Antisemitismus- Eklats“.

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.