Ein Wüstling

Ein Wort zum Montag, dem 11.Juli 2022 

VON CORNELIA SENG

In den Unterrichtsstunden vor den großen Ferien ist bei Schülerinnen und Schülern in der Regel die Luft raus. Dann habe ich manchmal zu der Geschichte von Simson gegriffen. (Simson ohne „p“ in der Mitte! Aber schon die Ähnlichkeit des Namens mit der amerikanischen Comicfigur lässt Schüler:innen aufhorchen.) „Die Simson-Geschichte willst Du durchnehmen?“ Mein Mann guckt mich fragend an. Was sollen Jugendliche von Simson lernen können?

In der Tat: Simson war ein Wüstling, der mit dem Kinnbacken eines Esels um sich schlug und tausende Gegner tötete. Er war ein Tierquäler: Füchsen hat er die Schwänze zusammengebunden, sie angezündet und brennend ins Feld der Feinde geschickt. Simson rächte sich, wo er nur konnte. Und auf dem Liebeslager wurde er immer und immer wieder schwach und verriet der Liebsten schließlich das Geheimnis seiner Kraft. Die Schüler:innen staunten nicht schlecht.

Natürlich kann ich die Geschichte historisch-theologisch einordnen. Simson war ein Nasiräer, ein „Gottgeweihter“. Und er hatte seine Bedeutung im alten Israel. Zwanzig Jahre lang hat er als Richter und Anführer den Israeliten die Feinde vom Hals gehalten. Aber kann ich es auch verantworten, die Geschichte Jugendlichen heute zu erzählen? Auch wenn ich sie natürlich im Unterricht bespreche und erkläre? Auch wenn wir sie von Jesus her lesen? Sollten wir nicht aussuchen, welche Geschichten der Bibel für uns brauchbar sind und welche nicht? Welche lassen sich moralisch verantworten? Welche lassen wir besser weg? Etwa im Jahr 150 n.Chr. hatte Marcion den Versuch unternommen, alles Jüdische aus den biblischen Schriften zu entfernen. Zum Glück hat er sich damit nicht durchgesetzt. In der Nazi-Zeit gab es ähnliche Säuberungsversuche.

Nein, was in der Bibel steht, verantwortet Gott allein, sage ich mir. Gott handelt auch durch schräge Typen wie Simson. Trotzdem verstört mich die Geschichte. In den vergangenen Tagen habe ich sie, dem Bibelleseplan folgend, wieder gelesen. Wer bin ich, dass ich die Bibel korrigieren könnte? Martin Luther hat sich das getraut. Aber ich bin nicht Martin Luther.

Vielleicht lesen Sie selber nach. Die Geschichte von dem Richter Simson steht im Alten Testament im Buch der Richter, Kapitel 13 bis 16.

Was meinen Sie, sollte man die Geschichte heute noch erzählen?

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