Auch auf der Documenta

Ein Wort zum Montag, dem 27. Juni 2022 

VON CORNELIA SENG 

Kurz nach der Eröffnung der Documenta in Kassel habe ich eine Führung gebucht. Die Teilnehmer:innen sind meist junge Leute. Wir sollten unseren Vornamen nennen und uns zu unseren Erwartungen an diese Documenta äußern. “Marion”, stellte sich eine junge Frau vor, sie sei in der Schule tätig. Sie kam mir bekannt vor. Aber woher sollte ich eine junge Lehrerin aus Marburg kennen? Und sie hier auf der Documenta treffen? Nach einer Weile sprach sie mich an: Ob wir uns nicht kennen würden? Natürlich! Schlagartig wurde es mir klar. Vor nicht allzu langer Zeit war die junge Frau zu Besuch bei unserer Tochter gewesen. Ich habe nicht erwartet, sie hier wiederzusehen.

Mir fallen die zwei Freunde von Jesus ein. Die “Emmaus-Jünger” heißen sie in der Bibel. Nach Jesu Tod haben sie einfach nicht erwartet, dass er mit ihnen unterwegs sein könnte. Wer tot ist, ist tot – dachten sie. Der Mensch, der neben ihnen ging, muss ein Fremder sein. Sieht man nur, was man erwartet? Nimmt man nur wahr, womit man rechnet?

Und wie ist das mit Gott? Könnte es sein, dass ich seine Gegenwart oft nicht wahrnehme, wie ich Marion nicht wahrgenommen habe? Weil ich einfach nicht mit ihm rechne? Weil ich anderes im Kopf habe?

Kann ich es üben, in allem Gottes stete Gegenwart zu sehen? Kann ich es einüben, seine geheimnisvolle Nähe im Alltag zu spüren? So wie es der Psalmbeter sagt (139,5):

“Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir. Diese Erkenntnis ist mir zu wunderbar und zu hoch, ich kann sie nicht begreifen. Wohin soll ich gehen vor deinem Geist, und wohin soll ich fliehen vor deinem Angesicht? Führe ich gen Himmel, so bist du da; bettete ich mich bei den Toten, siehe, so bist du auch da.”

Ich will mit Gott rechnen. Dass er da ist. Auch auf der Documenta.

Wajukuu Art Project am Eingang der Documenta Halle (c) Cornelia Seng

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