Resolution des Kinderschutzbundes
Der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine ist eine Zäsur. Nur zwei Flugstunden von Berlin entfernt werden Männer, Frauen und Kinder grausam getötet, rollen Panzer, explodieren Bomben und harren Frauen, Männer und Kinder in Kellern und Bunkern aus. Die Schwächsten der Gesellschaft sind am schwersten betroffen. Mehr als vier Millionen Kinder sind auf der Flucht. Sie verlieren ihre Heimat, ihre Freunde, ihre Familie, lassen die Väter im Krieg zurück.
Der Kinderschutzbund verurteilt den völkerrechtswidrigen Krieg Russlands gegen die Ukraine und ruft zur Schaffung sicherer Fluchtkorridore auf, damit vor allem Alte, Frauen und Kinder die Kampfzonen verlassen können.
Die Europäische Union zeigt eine große Aufnahmebereitschaft; das gilt auch für Deutschland. Der Kinderschutzbund heißt die Geflüchteten, in großer Mehrheit Frauen und Kinder, ausdrücklich willkommen und erklärt sich mit ihnen solidarisch. Dem Kinderschutzbund sind vor allem das Wohl und der Schutz der hier ankommenden Kinder wichtige Anliegen.
Der Kinderschutzbund weist ausdrücklich darauf hin, dass es keine Geflüchteten zweiter Klasse geben darf. Unsere Forderungen beziehen sich auf ALLE geflüchteten Kinder und ihre Familien – unabhängig von ihrer Nationalität.
Deutschland hat in der Vergangenheit immer wieder den Fehler gemacht zu glauben, geflüchtete Menschen blieben nur für einen begrenzten Zeitraum. Längerfristige angemessene Unterbringung oder Integration standen nicht weit oben auf der Prioritätenliste. Diesen Fehler dürfen wir nicht wiederholen. Niemand weiß, wie lange der Krieg in der Ukraine noch andauert und was danach von Städten und Dörfern übrig ist. Es ist völlig unklar, wann und ob die Geflüchteten in ihre Heimat zurückkehren können. Gleichzeitig muss Deutschland mehr Kindern als jemals zuvor Schutz bieten. Und nicht nur das.
Aus Sicht des Kinderschutzbundes sind gerade mit Blick auf die vielen Kinder fünf Punkte besonders wichtig:
- Unterbringung und Wohnraum
Kinder sind besonders schutzbedürftig. Sie müssen deshalb an sicheren Orten Zuflucht finden. Wir sehen, dass bei der Vielzahl der jetzt ankommenden Geflüchteten die Kommunen vor großen Herausforderungen stehen. Dennoch müssen auch in Notunterkünften Mindeststandards eingehalten werden: Die Kinder und ihre Mütter brauchen Privatsphäre. Die Kinder brauchen Orte zum Spielen mit Gleichaltrigen. Notunterkünfte sollten bleiben, was sie sind: Unterkünfte für eine sehr begrenzte Zeit.
Die Frage des bezahlbaren Wohnraums stellt sich erneut, und die Politik ist aufgefordert, Lösungen anzubieten. Gerade für die Kinder ist es wichtig, schnell eine stabile Wohn- und Lebenssituation zu schaffen, in der sie ankommen, heimisch werden und bleiben können – ein häufiger Wechsel der Unterbringung entspricht nicht dem Kindeswohl.
- Kita- und Schulbesuch müssen Priorität haben
Kinder, die aus ihrem geregelten Leben gerissen werden und zum Teil traumatisiert sind, brauchen feste Strukturen, einen rhythmisierten Tagesablauf und vor allem: andere Kinder. Sie müssen die Chance haben, Freundschaften unter Gleichaltrigen zu schließen, gemeinsam zu spielen und nicht zuletzt die neue Sprache zu lernen. Je früher geflüchtete Kinder eine Kindertagesstätte oder Schule besuchen, desto größer sind die Chancen für sie, sich schnell zurechtzufinden.
Kindertagesstätten und Schulen müssen dazu personell gut ausgestattet sein, auch mit Erzieherinnen und Erziehern bzw. Lehrerinnen und Lehrern und weiteren Fachkräften, die traumasensibel handeln. Für die besondere Unterstützung von geflüchteten Kindern müssen genug Zeit und Ressourcen vorhanden sein. Deshalb ist es besonders wichtig, dass eine gleichmäßige Verteilung der Kinder auf die Kindertagesstätten in Deutschland stattfindet.
Viele Erzieherinnen und Erzieher reiben sich auf und leisten trotz Personalengpässen sehr gute Arbeit. Der Kinderschutzbund fordert erneut, dass sich diese Leistung auch in der Bezahlung und guten Rahmenbedingungen ausdrückt.
- Gesellschaftliche Teilhabe
Abseits vom Schul- und Kitabesuch sollen geflüchtete Kinder auch am gesellschaftlichen Leben teilhaben können. Der Kinderschutzbund bezieht daher alle Kinder und ihre Familien – ob geflüchtet oder nicht – in seine Angebote zur Beratung, zum Austausch und zur professionellen Begleitung in Konfliktsituationen ein. Darüber hinaus haben viele unserer Ortsverbände die konkrete Betreuung von Flüchtlingsunterkünften übernommen oder unterstützen diese mit Leistungen wie Kleiderstuben, pädagogischem Mittagstisch, Beratung in ausländerrechtlichen Fragen oder bei der Wahl der richtigen Kinderbetreuung. Außerdem ist der Kinderschutzbund Träger von Kindertagesstätten und Angeboten an Ganztagsschulen, die nach unserem Leitbild die geflüchteten Kinder und ihre Familien besonders unterstützen.
- Heimkinder
In der Ukraine harren nach wie vor ganze Kinderheime aus und warten darauf, dass sich eine Kommune bereiterklärt, sie willkommen zu heißen. Eine verbindliche Finanzierungszusage des Bundes ist notwendig. Auch nach der Einigung über die Koordination der Verteilung steht dem System der Kinder- und Jugendhilfe sowie der Eingliederungshilfe eine Mammutaufgabe bevor. Länder und Kommunen sind bei der Unterbringung von Heimkindern sowohl mit Blick auf geeignete Räumlichkeiten als auch auf die notwendige Unterstützung durch Fachkräfte ausdrücklich gefordert.
- Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge
Unter den Menschen, die nach Deutschland fliehen, sind auch viele unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Oftmals kommen sie zunächst bei Freund*innen und Verwandten unter. Der Kinderschutzbund fordert die Bundesregierung auf, die Registrierung dieser Kinder mit hoher Priorität voranzutreiben. Nur die Kinder, deren Anwesenheit in Deutschland staatlichen Stellen bekannt ist, können gezielt unterstützt, mit verschiedensten Angeboten versorgt und geschützt werden. Es braucht entsprechend mehr qualifizierte Vormünder für unbegleitete Flüchtlingskinder.
Für all diese Aufgaben entstehen finanzielle Mehrbedarfe. Diese möglichst unbürokratisch zu decken, sind Bund und Länder nun aufgefordert.
Freie und öffentliche Träger müssen Hand in Hand mit Unterstützung durch weite Teile der Zivilgesellschaft aktiv bleiben oder werden. Um zu gewährleisten, dass Geld und Unterstützung bei den betroffenen Kindern und Familien ankommen, müssen Bund, Länder und Kommunen die entsprechenden rechtlichen Rahmenbedingungen und die finanzielle Unterstützung verbindlich sicherstellen.
Wir alle hoffen, dass der Krieg bald endet. Dass die Kinder und ihre Familien wieder in ihr altes Leben zurückkehren können, wenn sie das möchten. Egal ob sich die Geflüchteten für einen dauerhaften Verbleib in Deutschland entscheiden oder nach dem Krieg zurückkehren möchten: Gute Unterstützung ist jetzt notwendig. Die Resolution kann hier heruntergeladen werden.