Ein Wort zum Pfingstmontag, dem 6. Juni 2022
VON CORNELIA SENG
In der Gemäldegalerie im Schloss Wilhelmshöhe finden ab und zu Bildpredigten statt. So auch am vergangenen Sonntag. Zusammen mit wenigen älteren Damen und einem Herrn sitze ich vor einem großen Gemälde von Peter Raul Rubens. „Maria mit Jesus und Johannes, von reuigen Sündern und Heiligen verehrt“ heißt es und wurde um 1619 von Rubens vermutlich für eine Klosterkirche gemalt, wird uns erklärt. Die gut gekleidete, ansehnliche Maria dominiert das Bild. Jesus kommt nur als Kleinkind vor, neben einem deutlich älteren Knaben, der Johannes sein soll. Aber soviel älter kann Johannes, der Täufer, gar nicht gewesen sein den biblischen Berichten nach. Und was macht der „verlorene Sohn“, eine Figur aus den Gleichnissen Jesu, vor dem König David? Auch der Kirchenvater Augustinus schaut etwas grimmig aus dem Hintergrund. Auf der anderen Seite von Maria sind zwei gut genährte Mönche zu sehen und der heilige Georg mit einer knallroten Fahne.
Hat Rubens sich so Kirche vorgestellt? War das Bild einladend für die Betrachter:innen? Fühlten sie sich angesprochen? Ist Kirche einfach ein großer Mix? Und wenn ich in der Klosterkapelle säße, würde ich dazugehören wollen, zu dieser Kirche?
Das Bild wurde Anfang des 17. Jahrhunderts gemalt. Mitten in der Zeit der Gegenreformation. Katholiken wehrten sich gewaltsam gegen den Protestantismus. Rubens hatte einen anderen Blickwinkel auf die Kirche, als ich ihn heute habe.
Wie würde ich heute „Kirche“ malen? Male ich den Patriarchen von Moskau mit seinen scheußlichen Äußerungen zum russischen Angriffskrieg auch auf das Bild? Und all die geistlichen Herren, die den Missbrauch gedeckt und verschleiert haben? Und die, die früher Waffen gesegnet haben in Deutschland?
Auf meinem Bild stände Dietrich Bonhoeffer neben Martin Luther King und Mutter Theresa. – Aber wer bin ich, dass ich mir meine Lieblingskirche zusammenstellen könnte? Und ob Martin Luther King und Mutter Theresa nicht leicht verächtlich auf mich herabsehen würden? Sie waren weit konsequenter in der Nachfolge Jesu als ich.
Nein, statt mir meine eigene Kirche zusammenzustellen, leide ich lieber an ihr. Und überlasse es Gott, sich seine Kirche zu bauen. Die „Gemeinschaft der Heiligen“, wie wir sie im Glaubensbekenntnis bekennen, ist Sache des Heiligen Geistes. Unsere ist die Nachfolge Jesu Christi. „Der Geist ist kein Monopol einer christlichen Bewegung, der Hierarchie, des Priestertums oder einer Ordensgemeinschaft. Der Geist macht frei und bringt die Menschen dazu, wo immer sie leben, dem Ruf zur Christusbegegnung zu folgen.“ So hat es Oscar Romero gesagt, der römisch- katholische Bischof von San Salvador. 2018 wurde er von Papst Franziskus heiliggesprochen.
Eine Frage hat uns die Bildpredigt in der Gemäldegalerie mitgegeben: Wer sind eigentlich die „reuigen Sünder“ und wer sind die „Heiligen“ auf dem Bild? Oder sind beide beides? Dann könnte ich doch noch meinen Platz finden in dem Gemälde von Rubens.