Der Tempel im Park

Ein Wort zum Montag, dem 14. Februar 2022

VON CORNELIA SENG

“Dann sind Merkur und Hermes also derselbe”, bemerkt der Sohn. Wir stehen am Merkurtempel im Bergpark Wilhelmshöhe. “Mercurius” haben die Römer gesagt, “Hermes” die alten Griechen. Und warum hat der Hörner? Soviel ich weiß, sind das Flügel. Merkur/Hermes wird oft mit einem geflügelten Helm dargestellt, der schnelle Götterbote. Schon als Kind war er blitzschnell. Später hat er Botschaften in Windeseile zugestellt. Er galt als Gott der Händler, aber auch der Diebe. Er war für den Gewinn zuständig.

Noch heute scheint mir der Merkur/Hermes sehr erfolgreich zu sein. Botschaften in Windeseile zu verbreiten, ist keine Kunst mehr. Auf Knopfdruck steht alles im Internet und verbreitet sich in alle Welt. Der Handel floriert, wenn das Ergebnis stimmt. Alles muss seinen Gewinn haben.

Ich bin von klein auf mit anderen Geschichten aufgewachsen, mit den Geschichten der Bibel. Im Kindergottesdienst habe ich die Gleichnisse von Jesus gehört. Das Gleichnis vom Aussäen und Wachsen der Saat zum Beispiel. “Mit dem Reich Gottes ist es so, wie wenn ein Mensch Samen aufs Land wirft und schläft und aufsteht, Nacht und Tag; und der Same geht auf und wächst – er weiß nicht, wie.” (Mk 4,26f)

Hier geht es nicht um Schnelligkeit. Eher um Geduld. Um das Wissen, dass Gott das Leben in der Hand hält. Das Wachsen braucht Zeit, das hat sich mir eingeprägt. Auch das Reich Gottes braucht Zeit zu wachsen. Die Jünger werden ungeduldig gewesen sein wie ich. Aber Jesus ermutigt sie: Selbst aus dem kleinsten Samenkorn wird eines Tages ein großer Baum werden.

Die indische Schriftstellerin Arundhati Roy hat es so gesagt: “Eine andere Welt ist nicht nur möglich, sie ist schon im Entstehen. An einem ruhigen Tag kann ich sie atmen hören.” Bei Jesus heißt das: “Das Himmelreich ist nahe herbeigekommen”. Nur das Säen ist unsere Aufgabe, für das Wachsen und Gedeihen sorgt Gott schon selbst.

Der Merkurtempel im Bergpark ist schön anzusehen, besonders im Sommer. Die weißen Säulen sind von Weitem zu sehen. Eine gelungene Architektur. Aber mehr auch nicht. Vielleicht wollte er auch nie mehr sein.

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