Von der Lüge zu Gewalt und Totschlag

VON WOLFGANG HORN

Während auf der einen Seite Alice Weidel jedem sich ihr bietenden Mikrophon die sattsam bekannten AfD-Lügenmärchen zu Corona auftischt – es gebe keine Pandemie, die Impfungen schützten nicht, es handele sich um eine große Verschwörung und derlei abenteuerliche Dinge mehr – stirbt in Baden-Württemberg ein ungeimpfter Landtagsabgeordneter der gleichen Partei einen schrecklichen Coronatod. Wenn Politik gegen jeden Verstand, gegen jede wissenschaftliche Erkenntnis, gegen den versammelten Sachverstand fast aller Experten weltweit operiert und die Wirklichkeit in diesem Ausmaß leugnet, kann man allenfalls noch betreten den Kopf schütteln. Oder sich nur noch fremdschämen. Mit diesen Leuten ist kein Staat zu machen. Leuten, die mit ihren fragwürdigen Thesen und Parolen die eigene Anhängerschaft derart gefährden. Zugleich sterben in einem Hildesheimer Seniorenzentrum bei einem Corona-Ausbruch, drei Einwohner. Eine Pflegerin war mit Corona infiziert zur Arbeit erschienen und wies einen gefälschtem Impfpass vor. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Totschlags. Wie weit soll die Gewissenlosigkeit eigentlich noch gehen dürfen? Patienten, hochgefährdete Senioren, schutzbedürftige Menschen dürfen doch getrost davon ausgehen, daß ihnen keine Gefahr durch das behandelnde Personal droht, daß die Mitarbeiter von Heimen und Hospitalen geimpft sind und alle erforderlichen Schutzmaßnahmen ergreifen. Das unablässig-nöhlende Geschwurbel von einem zugespitzt-egomanischen und unsolidarischen Freiheitsbegriff bei Coronaleugnern und Impfverweigerern, die systematische Verletzung aller Kontakt- und Schutzregeln lassen die rechtswidrige Nutzung gefälschter Impfausweise in diesen von Reichsbürgern und Rechtsextremisten dressierten Protestkreisen womöglich als “Widerstand” durchgehen. Es ist aber in der Tat gefährlich und gewissenlos, setzt Leben und Gesundheit von Schutzbefohlenen aufs Spiel. Das alles hat mit Meinungs- und Versammlungsfreiheit nicht mehr das Geringste zu tun. In Idar-Oberstein erschießt jemand aus diesem “alternativen” Reichsbürgermilieu einen Tankwart, der zuvor das Tragen einer Schutzmaske angemahnt hatte. Täglich ist von Gewaltakten, Prügeleien, Schlägen in Bussen und Bahnen, auf Bahnhöfen als Folge ähnlicher Zurechtweisungen zu lesen. Es ist nicht mehr nur das “Maulheldentum”, das der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, diesem radikalisierten Corona-Protestmilieu attestiert hatte. Es sei ein Unterschied, über Gewalt zu reden und sie zu begehen, so Haldenwang. Vielleicht aber sind wir doch schon ein Stückchen weiter. Thomas Haldenwang: “Bei gewaltorientierten Rechtsextremisten und im radikalisierten Corona-Protestmilieu ist kein Szenario auszuschließen.” Carolin Emcke in der Süddeutschen Zeitung von Samstag ist zuzustimmen, daß wir es mit “radikalen, fanatischen Ideologien” zu tun haben, nicht mehr Teil des demokratischen Spektrums. Hanebüchener Narzissmus dürfe nicht als “Freiheit” deklariert werden, die zu verteidigen sei. “Eine demokratische Gesellschaft kann nicht bestehen, wenn sie sich in der öffentlichen Auseinandersetzung der Instrumente beraubt, begriffliche und politische Grenzen zu ziehen. Dazu gehört es, jene Verschiedenheiten anzuerkennen, die die plurale, offene Demokratie stärken, weil sie zwar unterschiedliche kulturelle oder religiöse Herkünfte und Praktiken leben, aber sich alle auf den Rechtsstaat verlassen. Aber dazu gehört eben auch, jene Verschiedenheiten zu erkennen, die die plurale, offene Demokratie ablehnen, weil sie in einer Parallelwelt aus Aberglauben und Ressentiment leben. Eine demokratische Gesellschaft braucht die Fähigkeit zu spalten – sie muss unverhandelbare Grenzen markieren können, sie muss rationale Standards aus Gründen und Argumenten verlangen können. Sonst lässt sie diejenigen allein, die an sie glauben und die ihren Schutz brauchen.“ Wir müssen Grenzen ziehen. Die Demokratie und ihre Institutionen, die Regeln des Rechtsstaates, die Grundrechte, vor allem das Recht der Meinungs-, Medien- und Kunstfreiheit und das der Religion sind allesamt nicht verhandelbar. Es ist die Aufgabe der Demokratinnen und Demokraten, sie gegen Rechtsextreme und Hooligans, gegen anthroposophische Coronaleugner und Impfverweigerer, gegen rechtspopulistische Wahrheitsfeinde und Anhänger von Verschwörungserzählungen zu verteidigen. Immer. Jederzeit.