Ein Wort zum Montag, dem 6. Dezember 2021
VON CORNELIA SENG
Wochentags ist es leer im Museum. Die alten Bilder in der Gemäldegalerie im Schloss Wilhelmshöhe habe ich fast für mich allein. Sprechen sie heute deutlicher als sonst? Es kommt mir fast so vor. Wegen „Jakobs Segen“ – Rembrandts berühmtem Bild – bin ich heute hier. Schon im Jahr 1656 hat er es gemalt.
Lange betrachte ich das alte Gemälde: In einem massiven Holzbett mit samtroter Decke und dunklem Vorhang liegt der betagte, alte Jakob. Dicht bei ihm stehen sein Sohn Joseph, dessen Frau und die beiden kleinen Enkel Ephraim und Manasse. Nach der Väter Weise geht es jetzt um die Weitergabe des Segens. Wie dicht die Familie beieinander steht auf diesem Bild! Fällt mir das nach fast zwei Jahren Pandemie mit Abstandsregeln besonders auf? Innig sind sie einander zugetan. Zärtlich will Joseph die Hand seines Vaters leiten: Der ältere Bruder Manasse soll doch den Segen bekommen, so ist es Brauch. Aber Jakob lässt sich von seiner Zuneigung leiten – und segnet den Jüngeren. Die Bibel versucht damit die besondere Bedeutung des Stammes Ephraim in der Geschichte Israels zu erklären (1.Mose 48). Trotz der Eigenwilligkeit Jakobs und dem versuchten Eingreifen seines Sohnes liegt Frieden über der Szene. Ich kann die Verbundenheit unter ihnen fast spüren. Eine Verbundenheit, die über Generationen reicht.
Im Ruhestand jetzt sind wir häufig mit Familienforschung beschäftigt. Einen verschollen Urgroßvater haben wir auf diese Weise wiedergefunden. Aber nur durch die Dokumente wissen wir kaum etwas von ihm. Wie hat er gelebt, was hat ihn beschäftigt? Wie hat er sein Leben gemeistert? Vor gut 150 Jahren wurde er geboren. Damals war die Welt komplett anders. Hätte er uns gesegnet und wenn ja, was hätte uns sein Segen bedeutet? Wäre uns dabei auch solche Verbundenheit geglückt, wie Rembrandts Bild sie ausdrückt?
In Verbundenheit mit den Vätern und Müttern zu leben, heißt nicht, wie ein Echo zu wiederholen, was sie gesagt haben. Wir müssen schon unsere eigene Stimme erheben, unsere eigene Antwort geben auf die Fragen unserer Zeit. Als zweitmächtigster Mann in Ägypten hat Joseph völlig anders gelebt als sein Vater Jakob, der noch mit Tierherden durchs Land zog. Aber Joseph blieb beim „Gott seiner Väter“. Das hat ihn beherzt und aufrecht handeln lassen zum Wohl des fremden Volkes, in dem er jetzt lebte. Er hat die Welt damals ganz wesentlich mitgestaltet.
Von einem „Umbruch in Kirche und Gesellschaft“ ist heute die Rede. Wie werden wir die neue Zeit meistern? Können wir in Verbundenheit mit den Vätern und Müttern eine Antwort finden? Können wir uns an ihre Lebenserfahrung anlehnen? An ihren Glauben? Und trotzdem eine eigene Antwort geben? Ich bin jetzt selbst Oma. Wie wird sich unser Enkel an mich anlehnen können? Wie werde ich es aushalten, wenn er vieles anders machen wird, als ich es für richtig halte?
„Zuflucht ist bei dem alten Gott“, heißt es an einer Stelle in der Bibel (5.Mose 27,15). Alt meint hier nicht ver-altet, es meint ver-traut und ver-lässlich. Bald werden wir wieder die alte Geschichte vom Kind in der Krippe, von den Engeln und den Hirten hören. Gott ist Mensch geworden in Jesus. Der hat dafür gelebt, dass wir begreifen, wie Leben in Frieden und Gerechtigkeit geht. In Verbundenheit miteinander. Ich bin froh, dass es Weihnachten wird.