Grenzen setzen

VON WOLFGANG HORN

In hiesigen Facebookgruppen sind Kommentare zu lesen, die sich mit dem heutigen Bundesverfassungsgerichtsurteil befassen. “Dieses Urteil war ein Skandal und erlaubt jetzt der zukünftigen Regierung absolute Narrenfreiheit… Damit ist das Grundgesetz eigentlich nichts mehr wert.” Das schreibt, natürlich, kein Jurist, sondern ein Musiker. Es mag gewiß Musiker geben, die sich in der Rechtswissenschaft trittsicher bewegen können. Aber ein solcher würde ein derart undifferenziert-simples Urteil gewiß nicht fällen und das Grundgesetz wegen eines Richterspruchs gewiß nicht unters Fallbeil legen. Eine anderer mokiert sich darüber, daß einer der Verfassungsrichter mit der Kanzlerin zu Abend gegessen habe und folgert daraus “verdächtige” Absprachen zwischen Kanzleramt und Verfassungsgericht. Wie sich Klein-Moritz die große Politik vorstellt. Aber wer sicher ist, daß Frau Merkel Befehle von Herrn Gates vollstreckt, der glaubt auch an derartige Absprachen zwischen Karlsruhe und Berlin. Beim nächsten regierungskritischen Urteil des Gerichtshofes sollten wir diese Debatte noch einmal neu aufmachen. Nein, im Ernst: Hier geht es nicht mehr um Regierungskritik oder Urteilsschelte. Ein Teil, ein sehr kleiner Teil der Gesellschaft hat sich von rationaler Wahrnehmung gesellschaftlicher und politischer Vorgänge und, daraus folgend, von jeglichem Dialog verabschiedet. Man kann nicht von einer Spaltung der Gesellschaft sprechen, denn dieser kleine, aber laute Teil hat das minimale Fundament einer Gesellschaft bereits verlassen. Hier kommen gewiß unterschiedliche Wahrnehmungen und Interessen zusammen. Den harten Kern dieses Milieus aber bilden destruktive Strömungen mit einer mehr oder weniger demokratiefeindlichen Agenda, die jede Verabredung mit gesellschaftlichem Konsens längst aufgegeben haben. Die AfD ist dabei beileibe nicht die einzige Rattenfängerin, womöglich indes die führende. Um diesen harten Kern herum tummeln sich dann ahnungslose Coronaleugner, gewissenlose Impfverweigerer, elitenfeindliche Sektierer, esoterisch verbildete Schwurbler, Zukurzgekommene, Rechthaber, Schreihälse, Poser. Allesamt Sonderlinge, mit denen zusammen man kaum Weihnachten feiern möchte oder einen Verein bilden, zum Stammtisch zusammenkommen, eine Partei betreiben oder ein Hobby teilen. Es geht im Umgang mit derartigen Anstands- und Wissensverweigerern nicht um Zurückgewinnen, um Integration, um Verhandlungen. Nein, hier sind Grenzen zu setzen.

Kommentar (1) Schreibe einen Kommentar

    • wolf
    • 01.12.21, 11:33 Uhr

    Die AfD ist in meinen Augen der Wegbereiter für die oben genannten “Anstands- und Wissensverweigerer”. Am Anfang steht immer das Wort. Und immer schön nach dem Motto “das wird man ja wohl mal sagen dürfen” wurden die Grenzen des Sagbaren weiter verrückt. NEIN, so etwas darf man eben nicht sagen, wenn man halbwegs klar im Kopf ist – hätte die Antwort lauten müssen.
    Ein aktueller weiterer Beleg dafür, um was es sich bei diesem Haufen handelt: https://www.tagesschau.de/investigativ/br-recherche/afd-chats-101.html
    Wie lange will man sich das eigentlich noch tatenlos ansehen?

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