In alten Kirchenmauern

Ein Wort zum Montag, dem 15. November 2021 

VON CORNELIA SENG

Kloster Jerichow liegt am Elbe-Radweg, nicht weit von Magdeburg entfernt. In der Stiftskirche des Klosters haben wir Gottesdienst gefeiert. Die „Zehntgemeinschaft“ hat sich hier getroffen. Es ist eine Gemeinschaft von Pfarrer_innen im Ruhestand, die sich bereithalten, Vertretungsdienste in Kirchengemeinden zu übernehmen. 

Die Stiftskirche Jerichow ist ein sehr alter Bau. Schon 1144 haben die Prämonstratenser das Kloster dort gegründet, nachdem der Orden im Jahr 1121, vor genau 900 Jahren, im französischen Prémontré gegründet worden war. Mitte des 12. Jahrhunderts war die Kirche in Jerichow so gut wie fertig. Seitdem wurde nicht viel an ihr verändert. Die romanische Grundform ist klar zu erkennen. Der Geist von damals in schlichter Schönheit ist ihr noch abzuspüren. Sie ist die älteste Backsteinkirche in Norddeutschland.

Was hat die Menschen damals bewogen, ein Kloster zu gründen? “Man muss sich vorstellen, dass die Verzweiflung an der Welt, die aus den Fugen geraten schien, im frühen 12. Jahrhundert genauso groß war, wie sie uns heute erscheint”, sagt die Direktorin des Kulturhistorischen Museums in Magdeburg. Dort ist eine Ausstellung zur Geschichte des Prämonstratenser-Ordens zu sehen. In den 900 Jahren hat sich die Welt verändert. Was haben die Mönche zum Gelingen des Lebens beigetragen? Haben sie Menschen inspiriert, mit dem Evangelium das Leben fröhlich zu wagen in Verantwortung?

Wieviele Menschen vor mir mögen die Mauern dieser alten Kirche gesehen haben? Wieviele sind hier ein- und ausgegangen? Das Leben in 900 Jahren birgt eine Vielzahl von Menschen, die in einer engeren oder weiteren Beziehung zu dieser Kirche stehen. Manche sind täglich zum Beten hier gewesen, andere kommen zur Rast während einer Radtour. Eine große Zahl. Heute stehe ich am Ende dieser Reihe. Wer wird morgen hier sein?

Wieder scheint die Welt aus den Fugen zu geraten. Wie antworten wir darauf? Was werden wir tun, um der Verzweiflung Einhalt zu gebieten? Kann das Leben der Mönche ein Vorbild für uns sein? Was heißt es für uns heute, Jesus konsequent nachzufolgen?

„Will mir jemand nachfolgen, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir,“ hat Jesus gesagt (Mt 16,24). Wie das geht? Ich habe kein Rezept. Jede und jeder muss es für sich selbst herausfinden. Lassen wir uns auf Jesus und seine Botschaft ein? Finden wir zu einem neuen Umgang mit der Erde? Zu Gerechtigkeit und zu Achtung der Menschenwürde?

Schweigend sitze ich in der Stiftskirche von Jerichow. Stille umgibt mich in den alten Mauern. Die Mönche jedenfalls haben Großartiges geleistet.

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