Reformationsfest

Ein Wort zum Montag, dem 1. November 2021 

VON CORNELIA SENG

Meine Freundin Luzie Panzer kenne ich seit Beginn des Studiums. Damals waren wir keine zwanzig Jahre alt. Bei Tee und Keksen haben wir miteinander alte Sprachen gebüffelt. In Göttingen haben wir Tür an Tür gewohnt. Jede von uns hat eine Familie gegründet und drei bzw. vier Kinder großgezogen. Luzie ist Rundfunkpfarrerin in der Ev. Kirche von Württemberg geworden und war verantwortlich für viele Radiobeiträge. Darüber, wie man über den Glauben an Jesus Christus einfach und verständlich in den Medien spricht, hat sie eine Doktorarbeit geschrieben. Inzwischen sind wir beide im Ruhestand. Irgendwie haben wir es immer geschafft, uns nicht aus den Augen zu verlieren. Oder soll ich sagen, „es wurde uns geschenkt“? Jetzt schreibt Luzie eine Kolumne im Evangelischen Gemeindeblatt von Württemberg. Heute übernehme ich ihre Gedanken zum Reformationsfest. Ich darf das, hat sie gesagt. Ab hier lesen Sie also Dr. Luzie Panzer: 

Reformationsfest. Auch nach 500 Jahren feiern wir Evangelischen Martin Luther als unseren Heiligen der Standhaftigkeit. Im April 1521 soll er sein legendäres „Hier stehe ich, ich kann nicht anders“ gesagt haben.

Heute ist es, jedenfalls in unserem Land, nicht mehr schwierig, seine Meinung zu sagen, auch wenn manche etwas anderes behaupten. Und es gibt landauf und landab Proteste und Demonstrationen, wo Menschen ihre Interessen vertreten. Sind die auch mutig und standhaft wie damals Luther? Oder manchmal einfach nur stur und eigensinnig?

Diese Frage hat mich in diesem Jahr sehr beschäftigt und ich bin deshalb zu einer Ausstellung in Worms gefahren: „Gewissen und Protest. 1521-1921“. Dort werden Menschen vorgestellt, die öffentlich ihre Meinung gesagt haben. Überraschend viele Frauen darunter. Natürlich fängt es mit Martin Luther an. Aber dann kommt zum Beispiel Anne Hutchinson: Die Puritanerin hat in ihrer Gemeinde verlangt, dass auch Frauen an den Gesprächen über die Predigt teilnehmen durften. Sie wurde dafür aus ihrer Gemeinde verbannt. Oder Olympe de Gouges: In der französischen Revolution hat sie gefordert, dass die Menschenrechte auch für Frauen gelten müssten. Frauen seien doch auch Menschen. Sie wurde dafür auf dem Schafott hingerichtet. Aus dem 20. Jahrhundert haben sie zum Beispiel Bettina Wegner vorgestellt, die Liedermacherin aus der DDR, die für ihren Protest ausgebürgert wurde.

Ich habe dort in Worms Menschen, die protestiert haben, kennengelernt und ihre Gründe. „Gott mehr gehorchen als den Menschen“, heißt das in der Bibel. „Gottes Wort und Vernunftgründe“, hat Martin Luther gesagt. Gleiche Rechte für alle, weil alle Menschen gleich würdig sind, haben viele gefordert.

Ich habe von Menschen gehört, die mit anderen gesprochen und sich ausgetauscht haben. Auch so entstehen Kriterien für das, was Recht ist und wofür es lohnt, standhaft zu bleiben. Menschen, die nicht für sich selbst, sondern vor allem für andere gekämpft haben, besonders auch für kommende Generationen. Wie gut, dass es sie gab und gibt. Die Ausstellung läuft übrigens noch: Im Museum der Stadt Worms bis zum Jahresende. Ein Besuch lohnt sich.

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