Die Cestius-Pyramide

Ein Wort zum Montag, dem 18. Oktober 2021

VON CORNELIA SENG

Cestius war nicht berühmt, nur reich. Er konnte sich eine eindrucksvolle Grabstätte leisten. Damals war die ägyptische Kultur groß in Mode. Das war unter Kaiser Augustus, vor gut 2000 Jahren im alten Rom. Also wurde Cestius in einer Pyramide bestattet, am Rande von Rom. Wie man es sonst nur von den alten Ägyptern kennt. Das war etwa im Jahre 12 v. Chr..

Zufällig ist die Pyramide des Cestius als einzige in Rom erhalten geblieben, und Landgraf Friedrich II. von Hessen fand sie beeindruckend. Er bewunderte die Römer. Deshalb ließ er die Cestius-Pyramide im Bergpark Wilhelmshöhe nachbauen. Das war im Jahre 1775.

Heute gehe ich gerne zur Cestius-Pyramide im Bergpark. Sie ist eine der unbekannten kleinen Bauten im Bergpark. Keine zehn Meter hoch ist sie. Den Weg dahin genieße ich. Und ich fotografiere sie immer wieder.

Was fasziniert mich, was verbindet mich mit ihr?

Wahrscheinlich ist es der lange Blick zurück in die Weltgeschichte, zurück bis in die Zeit der alten Ägypter. Damals haben die Pharaonen regiert. Der Pharao verstand sich als Stellvertreter Gottes auf Erden. Seine Macht war grenzenlos. Und doch musste er das Volk Israel in die Freiheit ziehen lassen – auf Gottes Geheiß. Gegen den Gott dieses Volkes von Sklaven und Fremdarbeitern, von Flüchtlingen, die wegen einer Hungersnot einst nach Ägypten gekommen waren, musste er sich geschlagen geben.

Diese erstaunliche Geschichte über den „Auszug aus Ägypten“ im 2. Buch Mose ist Fundament des jüdischen Glaubens und – durch Jesus – auch Fundament des christlichen Glaubens. Gott ist auf der Seite der entrechteten, unterdrückten und gequälten Menschen! „Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen“, singt Maria, die Mutter Jesu über die Größe Gottes (Lk 1,52).

Auch heute noch werden Menschen erniedrigt und entrechtet, z. B. an den Außengrenzen Europas, z. B. in Kroatien und an der polnischen Grenze. Die Bilder haben wir in den Nachrichten gesehen. Was wird aus ihnen werden? Wird Europa zu einer gerechten Flüchtlingspolitik finden?

Die Pharaonen sind längst untergegangen. Auch Landgraf Friedrich II, der einst den Bergpark zu seinem eigenen Amüsement ausbauen ließ, ist nicht mehr. Heute gehe ich hier spazieren. Ich habe mein ganzes Leben lang in einer Demokratie gelebt. Schon vor meiner Geburt wurden die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ und die „Genfer Flüchtlingskonvention“ verabschiedet. Am Schloss im Bergpark begegnen mir immer wieder auch Flüchtlingsfamilien, die ihren Kindern die Attraktionen von Kassel zeigen.

Dankbar nicke ich ihnen zu. Wie die Zeit wohl weitergehen wird? Was wird in zweihundert, in zweitausend Jahren sein?

© Cornelia Seng

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