Update | Die Freiheit Geimpfter

VON WOLFGANG HORN

„Mit der Freiheit kommt die Verantwortung, und so gibt es gute Gründe, dass Ungeimpfte ihr Quarantänerisiko in finanzieller Hinsicht bald nicht mehr auf die Allgemeinheit abwälzen können. Wer selbstbestimmt entscheidet, sich nicht gegen Corona impfen zu lassen, der kann nicht zwei Wochen bei vollem Gehaltsausgleich in Quarantäne verbringen. So weit, so logisch.“ Mit diesen Worten leitet Karin Christmann ihren Kommentar im Tagesspiegel ein, der unter der Überschrift steht: Es geht zu oft um die Freiheit Ungeimpfter. Diesem Urteil kann man nur zustimmen. Die Hauptaufgabe des Staates und der Gesellschaft besteht in der weltweiten Pandemie im Gesundheitsschutz für die ganze Gesellschaft. Unter diesem Gesichtspunkt wäre es notwendig gewesen, sehr früh bereits, als Impfstoffe noch keineswegs in Sicht waren, das Thema der Pflichtimpfung differenzierter zu behandeln. Stattdessen wurde von der Regierung und auch den politischen Parteien nur allzu schnell die Losung ausgerufen, es werde keine Impfpflicht geben, für niemanden. Warum eigentlich? Hat sich die Impfpflicht bei den Pocken nicht bewährt, bei den Masern, bei der Kinderlähmung? Wäre nicht eine Impfpflicht angebracht etwa bei den Menschen, die im Gesundheitswesen tätig sind und in der Altenpflege? Könnte man sich eine Pflichtimpfung nicht auch denken bei Menschen, deren Arbeit der unmittelbare Kundenkontakt ist, Personal in der Gastronomie und Hotellerie oder im Verkauf? Oder dort, wo es um die Sicherheit des Landes geht und seiner Menschen, also bei Polizei, Feuerwehr oder Militär, bei technischen Hilfsdiensten? Ernsthafte derartige Überlegungen sind leider nicht angestellt worden. Man, die Politik wollte die Menschen im Land nicht erschrecken, die seit einhundert Jahren keine Pandemieerfahrung mehr haben machen müssen und seit 75 Jahren keine mit Krieg und gewalttätigem Staat und ebensolcher Gesellschaft. Es ging um möglichst viel Ruhe im Land. Politik als Sedativum. Die Folgen dieser falschen oder Nicht-Entscheidung bekommen wir alle jetzt zu spüren. Das Land wird gespalten, in eine große Mehrheit geimpfter Menschen, die sich kaum zu Wort melden, und eine kleine, lautstarke, immer radikaler sich gebärdende Minderheit der Impfgegner, die Zug um Zug näher an rechtsextremische Kräfte heranrückt, militanter wird, unzugänglicher, hermetisch. Dabei geht es um die Gesundheit der ganzen Gesellschaft. Es geht um den Schutz von Kranken, alten Menschen, gefährdeten Gruppen. Und das wird nicht funktionieren, wenn immer noch und immer wieder die vermeintlichen Freiheiten freiwillig Ungeimpfter im Vordergrund stehen. Alle Menschen in diesem Land haben ein Impfangebot bekommen. Alle Menschen in diesem Land hätten von diesem Angebot Gebrauch machen können. Und nun geht es darum, daß alle Geimpften und Genesenen mit möglichst geringen Einschränkungen ihr Alltagsleben führen können. So lange es erforderlich ist, werden die Abstandsregeln, die Hygienevorschriften oder die Kontaktreduzierungen gelten müssen. Aber der Zugang zu kulturellen oder Sportereignissen, zu Theatern, Museen oder Konzerthallen, zu Nah- oder Fernverkehrsunternehmen muß in erster Linie für diese 2G-Personengruppen möglich sein. Das könnte auch für die Hotellerie gelten oder gastronomische Betriebe, für Spielhallen oder Imbisse. Es gibt ein Recht auf Schutz vor Infektion, ein Recht auf körperliche Unversehrtheit. Wenn freiwillig Ungeimpfte ein Risiko darstellen für die mehr als zwei Drittel der Menschen, die sich haben impfen lassen, dann müssen sie auch entsprechende Einschränkungen in Kauf nehmen. Das ist eine Folge ihrer freiwilligen Entscheidung, sich nicht impfen zu lassen. Und solange die Covid-Schnelltests noch in sehr hohem Maße das Risiko eines falschen Negativergebnisses in sich bergen, muß die Gesellschaft Sorge dafür tragen, daß Geimpfte und Genesene keinem zusätzlichen Risiko ausgesetzt werden, etwa mit einer 3G-Regel. Man könnte allenfalls einen PCR-Test in Erwägung ziehen. „Wieso gelten verpflichtende Tests als unzumutbar – doch Geimpfte müssen sich den Risiken aussetzen, die für sie entstehen, wenn sie an der Arbeitsstätte mit Ungeimpften zusammentreffen? Hier setzt die Politik die Prioritäten völlig falsch.“ So Karin Christmann in ihrem Tagesspiegel-Kommentar. Alle Regeln, 2G, 3G und was sonst noch alles als Regel ausgegeben wurde, alle Regeln taugen nichts, wenn man ihre Anwendung nicht durchsetzt. Die Politik und die Gesellschaft sind hier gleichermaßen gefordert. Masken sollten nicht am Handgelenk baumeln, sondern im Gesicht getragen werden. Die Funktionen der Corona-Warn-App, mit viel Getöse und Geld entwickelt, müßten erweitert und weiter entwickelt werden. CWA sollte in gewisser Weise verpflichtend werden. Und schließlich: „Es braucht kreative Lösungen, die Vorerkrankten und Vorsichtigen den Alltag erleichtern. Warum nicht ein 1G-Tag im Supermarkt? Ein Tag in der Woche, an dem nur Geimpfte Zutritt haben, damit gefährdete Personen sich mit deutlich verringertem Risiko versorgen können: Das ließe sich machen – wenn die Politik nur wollte.“ Soweit noch einmal Karin Christmann.

Zu allerletzt: Unsere Gesellschaft funktioniert nur über die weitgehende Einhaltung von Regeln. Man darf ein Auto nur fahren, wenn man auch eine entsprechende Prüfung abgelegt und einen Führerschein erworben hat. Autofahren ist ebensowenig Grundrecht wie der Besuch eines Stadions, Museums oder eines Restaurants sowie Konzertsaals. Wenn man auf die Führerscheinprüfung freiwillig verzichtet, muß man zu Fuß gehen oder mit der Bahn fahren. Und wer sich freiwillig nicht impfen läßt, muß mit Zurückweisungen beim Zusammentreffen vieler Menschen rechnen.

Nachtrag: Antje Gohmann hat mit Ihrem Einwand auf Facebook natürlich Recht: Allen wurde ein Impfangebot unterbreitet, die sich auch impfen lassen können. Für Kinder im Alter von unter zwölf Jahren steht noch kein zugelassener Impfstoff zur Verfügung und einige Personengruppen können sich ihrer Erkrankungen wegen nicht impfen lassen.

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