Ein Wort zum Montag, dem 20. September 2021
VON CORNELIA SENG
Fast wäre ich vorüber gegangen. So unauffällig reiht sich das Haus in die Nachbarschaft ein. Nichts deutet darauf hin, dass im Inneren eine kleine Revolution stattfindet. Nur auf dem Klingelschild finde ich „Brot & Rosen“. „Brot & Rosen“ ist eine diakonische Basisgemeinschaft in Hamburg. Seit ich vor etwa 25 Jahren die Mitbegründer kennengelernt habe, fühle ich mich dem Anliegen verbunden und lese die Rundbriefe der Gemeinschaft. Jetzt bin ich hier, um meine Freundin und Pfarrkollegin Julie aus Amerika zu treffen. Während ihres Sabbatjahres lebt sie für ein paar Wochen in der Gemeinschaft. Sie führt mich gleich in den großen Essraum und kocht uns einen Kaffee.
„Brot & Rosen“ ist ein „Haus der Gastfreundschaft“. Das merkt man dem Inneren auch an. Es ist freundlich, hell und – schlicht. Hier wohnen keine reichen Leute, aber Menschen, die das Leben lieben. „Zur Zeit leben fünfzehn Menschen im Haus“, erklärt mir Julie und zählt die Länder auf, aus denen sie kommen. Es ist ein Haus, in dem Geflüchtete Unterkunft finden. In den letzten 25 Jahren haben Menschen aus sechzig Ländern hier gewohnt, erfahre ich auf der Homepage. Es sind Menschen, die durch die Maschen des Systems gefallen sind und nicht wissen, wo sie sonst hin sollten. Hier finden sie Aufnahme, bis ihr Problem geklärt ist, ihre Papiere da sind und sie wissen, was sie weiter mit ihrem Leben machen wollen.
Julie zeigt mir ihr Zimmer. Es ist einfach und einladend zugleich. Ich merke ihr an, dass sie sich hier wohl fühlt. „Ich habe eine Bleibe gesucht und habe eine Familie gefunden“, sagt sie lachend. Das ist das Prinzip: Als Familie zusammenleben. Gegessen wird abends gemeinsam, jeder ist einmal mit Kochen dran und auch mit Putzen. Man nimmt Anteil aneinander. Julie hütet das Baby, wenn seine Mutter mit Kochen dran ist.
Der Anstoß zum Haus der Gastfreundschaft kam aus der „Catholic Worker-Bewegung“ um Dorothey Day aus den USA in den sechziger Jahren. Heute gibt es 187 Gemeinschaften, die sich „der Gewaltlosigkeit, freiwilliger Armut, dem Gebet und der Gastfreundschaft mit Wohnungslosen“ verschrieben haben. „Catholic Workers protestieren gegen Ungerechtigkeit, Krieg, Rassismus und jede Art von Gewalt“, heißt es weiter. Menschen aus der Hamburger Basisgemeinschaft stehen einmal in der Woche Mahnwache gegen Abschiebung vor der Ausländerbehörde der Stadt. Auch politische Diskussionsabende gegen Waffenexporte z.B. finden im Haus statt.
Im Vorraum zum Keller stapeln sich die Kisten. „Man muss alles schnell verarbeiten“, sagt Julie fröhlich. Die Kisten mit Obst und Gemüse kommen von der Tafel. „Und der Bäcker am Ende der Straße spendet uns das übrige Brot“. Julie führt mich durch das Haus. Auch eine Kapelle gibt es im Keller, mit Holzverkleidung und Teppichboden. Auf dem Boden vor dem kleinen Altar liegen die Losungen und das Liederbuch aus Taizé. Einmal am Tag trifft man sich hier zum gemeinsamen Gebet. Wobei die Konfession, selbst die Religion keine Rolle spielt. Jede/r, die möchte, ist eingeladen mitzubeten. Es geht schlicht um die Nachfolge Jesu, nicht um Kirchenmitgliedschaft. Schade, dass ich heute wieder zurück muss.
Kann man so leben? In ehrlicher Gastfreundschaft mit Menschen, die „ganz unten“, die arm sind? „Wenn ihr nur zu euren Brüdern freundlich seid, was tut ihr Besonderes?“ fragt Jesus. „Tut Gutes und leiht, wo ihr nichts dafür zu bekommen hofft“ (Lk 6,35).
Kann man Nachfolge Jesu wirklich so konsequent leben? Kann man so deutlich für den Frieden eintreten und für die, die ganz unten sind? Mir kommt es revolutionär vor in unserer Welt. Aber offensichtlich kann man so leben. Auch heute.
Nachdenklich und dankbar fahre ich nach Hause. Wie gut, dass es „Brot & Rosen“ gibt, denke ich.