Ein Wort zum Montag, dem 23. August 2021
VON CORNELIA SENG
Im Keller habe ich ein altes Bild wiedergefunden. In unserem Pfarrhaus hing es im Treppenhaus, hier liegt es in einer Kiste im Keller. Es ist ein einfacher, blass-grauer Druck. Gut hundert Jahre muss es alt sein. Der englische Historienmaler William Strutt hat es gemalt und „Peace“ genannt. Bei den Großeltern hat es an der Wand gehangen. In der Mitte des Bildes steht ein Kind mit blonden Locken, es hält einen Zweig in der Hand. Üppig ist es von Blüten umrankt. Neben ihm liegen ein Löwe und friedlich guckende Kühe, auf der anderen Seite liegt ein Panther neben einem Ziegenböcklein. Dahinter kommt ein Bär angetrottet. Im Vordergrund spielen zwei kleine Kinder gefährlich dicht am Loch einer Schlange.
Die Szene ist utopisch, nicht von dieser Welt. Unten ist eine Bibelstelle notiert: Jesaja 11,6-9. So hat der Prophet das messianische Friedensreich beschrieben: „Da werden die Wölfe bei den Lämmern wohnen und die Panther bei den Böcken lagern. … Ein Säugling wird spielen am Loch der Otter.“
Ist so der Friede? Im Frieden gibt keine Gefährdung mehr für Leib und Leben. Nichts und niemand will mir Böses. Das Fressen und Gefressen-Werden hat ein Ende. Es gibt keinen Grund mehr, sich zu fürchten.
Was haben die Großeltern bei dem Bild empfunden, warum haben sie es aufgehängt? Der Großvater hat im Ersten Weltkrieg gekämpft, wir haben ein Foto von ihm in Soldatenuniform. Hat er sich gesehnt nach einem Leben in Sicherheit und ohne Gefahr?
Wie würden die Menschen in Afghanistan heute dieses Bild sehen? Viele sind in akuter Lebensgefahr. Wie groß muss ihre Sehnsucht nach einem Leben in Sicherheit sein!
Das idyllische Bild vom Friedensreich, wie es der Prophet Jesaja beschreibt, hatte Nachwirkungen. Etwa 900 Jahre nach Jesaja hat Johannes der Seher im letzten Buch der Bibel von einem „Tausendjährigen Friedensreich“ auf Erden geschrieben. Der Teufel ist besiegt, er liegt in Ketten, „damit er die Völker nicht mehr verführen sollte“ (Offenbarung 20,3). Eine großartige Vorstellung. Wie sehne ich mich nach einer solchen Zeit! Mensch und Mensch, Mensch und Tier, Mensch und Erde leben in Frieden miteinander. Niemand muss mehr um sein Leben rennen, niemand mehr muss sich vor anderen fürchten.
Aber da sind wir noch nicht. Ein Blick in die Nachrichten genügt.
Bis dahin werden wir einfach tun müssen, was Jesus uns aufgetragen hat. Wir sollen den Frieden „stiften“, heißt es in der Bergpredigt Jesu. Wir sollen weitergeben, was von Jesus vererbt wurde. Machen wir eine Stiftung! Frieden stiften macht in dieser Welt Arbeit, viel Arbeit. Es heißt sich einzumischen, die Stimme zu erheben. Wie soll die Welt sein, in der wir und die Generation der Enkel später leben sollen?
Das alte Bild von den Großeltern steht jetzt vor mir auf dem Schreibtisch. Es wurde uns vererbt. Welche Welt werde ich unserem Enkel vererben?
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