Emil

Ein Wort zum Montag, dem 7. Juni 2021

VON CORNELIA SENG

„Du wirst sehen: Eine richtige Oma zu sein, ist viel, viel besser als bloß eine Oma gegen Rechts“, sagte mein Freund Peter, als ich ihm von unserem ersten Enkelkind erzählt habe. Es klang ein bisschen so, als erwarte er, dass mir diese politischen Flausen dann schon vergehen würden.

Wenn das nächste Jahrhundert beginnt, wäre Emil 79 Jahre alt. Ich wünsche ihm, dass er das erlebt und sich freuen kann an einem langen Leben. Wie wird die Welt dann sein? Wird er bis ins Alter hinein in Frieden und Freiheit leben können? Wird er in eine demokratische Gesellschaft einbringen können, was er gerne macht und gut kann?

Am 2. Juni haben wir hier in Kassel Walter Lübckes gedacht. Der Regierungspräsident wurde feige erschossen, weil er für Freiheit und Menschenwürde eingetreten ist. Inzwischen ist der Täter verurteilt, aber das Netzwerk dahinter existiert weiter. Werden Menschen in Zukunft (wieder) aus Angst vor Gewalt den Mund halten?

„64 Prozent der Bürgermeister in Deutschland sind nach eigenen Angaben bereits beleidigt, beschimpft, bedroht oder tätlich angriffen worden“, sagte der Geschichtsprofessor Krause-Vilmar in seiner Rede anlässlich des Gedenkens an Walter Lübcke auf dem Martinsplatz in Kassel. „Es geht ihm (dem Rechtsextremismus) nicht nur um Einschüchterung und Ausschließung der politischen Gegner, sondern darum, den öffentlich vorherrschenden demokratischen Konsens, der zur Gründung unseres Staates führte, zu stören und zu beseitigen“, sagte Krause-Vilmar weiter. In Kassel hat die Osanna-Glocke der Martinskirche ein minutenlanges „Gegenläuten“ gegen Rechtsextremismus erklingen lassen.

„Es gehe um ‚Enkelschutz‘ im übertragenen Sinne, für eine Gesellschaft, die der jungen Generation eine Zukunft in Freiheit sichern soll“, heißt es heute, am Samstag, in einem Artikel der Frankfurter Rundschau über die OMAS GEGEN RECHTS in Wiesbaden. – Es geht um Emil.

Manche der OMAS sind älter als ich, manche jünger. Uns allen ist gemeinsam, dass wir von Eltern erzogen wurden, die die Zeit des Nationalsozialismus erlebt habe. Unsere Eltern wussten, was es kostet, gegen Unrecht zu protestieren. Und wir als Kinder wissen, was es bedeutet, dass sie geschwiegen haben.

„Zur Freiheit hat uns Christus befreit!“ (Gal 5,1), ruft der Apostel Paulus den Christen in Galatien zu. Es ist auch die Freiheit einzutreten gegen Unrecht und Ausgrenzung.

Ich bete für Emil. Möge er lange leben – in Freiheit und Menschenwürde.

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