Zwischenfazit: Was die Debatte über die “Weihnachtsbaumterrasse” ergeben, wen sie nicht erreicht und wen sie zurückgelassen hat

VON WOLFGANG HORN

Aufgeregt, so allgemein die kennzeichnende Beschreibung der Debatte etwa hier im Forum Wermelskirchen und in den sozialen Medien und vieler Gespräche in der Stadt. Es ging und geht um die Errichtung einer Terrasse für Außengastronomie unterhalb und neben einem Stadtwahrzeichen, dem mehr als 27 Meter hohen “Weihnachtsbaum”, korrekter: einer Wellingtonie, die 1874 bereits angepflanzt und seit den vergangenen 146 Jahren nach und nach zum Baum aller Dellmänner und -frauen geworden ist.

Diese Aufregung, das heißt die Beschäftigung mit dem Thema “Weihnachtsbaum und Außengastronomie”, das Mühen um Informationen – Wie geht es dem Baum? Könnte er durch die beabsichtigten Veränderungen geschädigt werden? Was ist zu seinem Schutz zu tun? Was zu unterlassen? Passt sich das neue Ensemble ästhetisch ein? -, die vielen Stellungnahmen, für und wider Terrasse, die unzähligen, in die Zehntausende gehenden Klicks in allen möglichen Facebookgruppen oder anderen sozialen Medien, die ungeheuer vielen Kommentare unter Beiträgen dort, das alles belegt jedenfalls eines: Die Wellingtonie hat einen festen Platz im Herzen vieler, vielleicht der überwiegenden Mehrheit aller Wermelskirchener, seien sie Dellmänner oder Zugezogene, aus Köln oder Karatschi, einerlei.

Das Thema Mammutbaum hat eine emotionale Wucht, die von fast allen politisch und administrativ Handelnden in der Stadt unterschätzt wurde. Die Lokalpresse hat knapp eine Woche abgewartet, zunächst nicht und dann nur spärlich berichtet. Die Parteien haben sich überwiegend noch gar nicht zu Wort gemeldet. Lediglich die Grünen haben eine öffentliche Stellungnahme abgegeben, nachdem sie sich mit Fachleuten beraten haben. Heute hat sich der Fraktionsvorsitzende der SPD vor allem mit Kritik an der Form der Debatte zu Wort gemeldet. CDU, WNK, Büfo, FDP und WNK scheuen derzeit noch das heiße Eisen und werden wohl mit einer abgewogenen Stellungnahme zugunsten von Gastronomie und Naturschutz gleichermaßen aus der Deckung kommen, wenn die Verwaltung alle Einzelheiten auf den Tisch legt und sämtliche Experten zu Rate gezogen worden sind. Niemandem weh und allen wohl. Das offizielle Wermelskirchen, so mein Fazit, hat eine Chance vertan.

Die Debatte hat sich sehr schnell entwickelt und ausgebreitet. Wie vielfach in sozialen Medien, werden im Eifer gute Regeln der Kommunikation über Bord geworfen oder vergessen und es ergibt sich ein rauerer Ton als nötig, abgrenzendere Formulierungen als womöglich intendiert werden gewählt, es ergeben sich schäbigere Bewertungen der Diskussions-Partner als einer guten Kommunikation förderlich sind. Kurzum: Wenn sich niemand um die Debatte kümmert, die Stadtspitze nicht, die Parteien nicht, die lokalen Medien nicht, nicht die Kirchengemeinden und Pastöre, nicht die Vereinsvorsitzenden oder Kulturschaffenden, dann finden die Streitgespräche eben in der Wildwuchsfacon statt. Das nunmehr im Tränenduktus zu bedauern oder klammheimlich abzuwarten, gilt nicht. Gar nicht. Wie war das? Wer Hitze nicht aushalten kann, hat in der Küche nichts verloren. So oder ähnlich jedenfalls. Sprichworte sind meine Domäne nicht. In dieser Geschichte hätten die Parteien Augen und Ohren vieler, vielleicht tausender Bürgerinnen und Bürger der Stadt leicht finden können. Auch ohne abgestimmt-wohltemperiert-laue, in wetterfeste Ewigkeitsätze gegossene, vermeintlich unangreifbare Positionen. Das Weihnachtsbäumchen ist Angelegenheit von viel mehr Menschen in der Stadt, als die gesamte Politik angenommen hatte. Jetzt ist die Erregung nicht mehr zurückzudrängen.

In diesem Licht, daß der Baum die Sache aller oder der meisten Wermelskirchener und Wermelskirchenerinnen ist, sollte auch der Offene Brief des Geschichtsvereinsvorsitzenden, Volker Ernst, gesehen werden. Jedenfalls listet Ernst Fakten auf, die vielen Bürgern, wie mir auch, nicht geläufig waren oder sind. Der Baum steht unter Naturschutz. Seit 95 Jahren. Im Sommer 1976 stand der Baum vor dem Vertrocknen. Deshalb der Betonring, als Wasserspeicher um den Stamm. 1978 wurde die Fläche um den Baum als notwendig bestimmt, um die erforderliche Regenmenge aufnehmen zu können. Ein Baumchirurg hatte sich seinerzeit, 1981, des Baumes angenommen. Das Wachstum hat seither stark abgenommen. “Der Baum ist also ohnehin angeschlagen.” Ein trockenes Fazit. Wer all das weiß, so gut weiß wie ein lokaler Geschichtsexperte, der darf das auch öffentlich anmerken, ohne zugleich Baumexperte sein zu müssen oder Experte für Wirtschaftlichkeit der Gastronomie. Seine, Volker Ernsts Kritik an der Bodenverdichtung durch etwa sechzig Fundamentsteine für die Terrassenunterkonstruktion ist in diesem Licht nicht einfach von der Hand zu weisen. Ebensowenig, wie die Kritik an der Überbauung von etwa einem Drittel der erforderlichen Fläche für die Regenwasseraufnahme.

Jedenfalls wären das alles gute Ansatzpunkte für eine rationale Auseinandersetzung, besser noch Klärung gemeinsam mit Volker Ernst gewesen. Das hätte vielleicht früh die aufgeregte Debatte einzudämmen vermocht. Der Sachwalter des Naturschutzes steht regelmäßig in einem Konflikt mit ökonomischen Interessen. Die Aufgabe der Politik, vielleicht auch der Verwaltung, ist, zwischen diesen zunächst widerstreitenden Positionen und unterschiedlichen Interessen einen rationalen Weg zu finden, für Ausgleich zu sorgen, beide Interessen möglichst unter einen Hut zu bekommen. Ich verstehe nicht, wie man das Schreiben von Volker Ernst apodiktisch nennen kann, hat dieses Adjektiv doch die Konnotation, den Beigeschmack von “keinen Widerspruch zu dulden”. Ernst nimmt Stellung für den Naturschutz. Ernst. Aber nicht apodiktisch. Volker Ernst mag, wie die meisten Bürger dieser Stadt, wie selbst die meisten Politiker dieser Stadt, nicht unbedingt mit den Gaben eines geschmeidig-alerten Diplomaten ausgestattet sein; jedenfalls ist er ein konsequenter Interessenvertreter, entschieden, angstfrei. Politiker und Verwaltungsfachleute hätten die Sirenen hören müssen, als Ernst seinen Brief öffentlich gemacht hatte. Mit einem frühen Gespräch, gemeinsam mit dem gastronomischen Unternehmen, wäre, vielleicht, eine einvernehmliche Lösung möglich gewesen. Jetzt haben wir stattdessen eine Tendenz, daß das Ansehen aller Beteiligten ramponiert wird.

Dabei handeln in diesem Fall weder ein in Sachen Naturschutz kenntnisbefreiter Lokalhistoriker auf der einen und eine profitorientiert-kalte und den Mammut-Baum am liebsten der Möbelindustrie überantwortende Supergastronomin. Betroffen sind viele, alle in Wermelskirchen. Das heißt, daß der Schutz des Baumes übergeordnete Priorität in den Augen vieler Mitbürgerinnen hat. Rein quantitativ waren nämlich die Reaktion auf die Einlassungen von Volker Ernst und anderen Kritikern der Terrasse etwa vier zu eins zugunsten des Baumschutzes und ebenso vier zu eins bei den anderen Beiträgen zugunsten eher der außengastronomischen Terrasse. Also stellt sich die Frage: Wie kann der Baum geschützt und wie kann angesichts der nachvollziehbaren Interessen des gastronomischen Betriebes die Terrasse optimal gestaltet werden? Die Frage kann mithin nicht nur lauten, ob der Terrassenbau formal zu beanstanden ist oder nicht, wie sie beispielsweise vom sehr geschätzten ehemaligen Ratsmitglied Horst Walter Schenk aufgeworfen wurde. Niemand in der Stadt unterstellt etwa einen Schwarzbau. Und, ich habe das oben schon geschrieben: Warum eigentlich haben Verwaltung und Politik, hat das gastronomische Unternehmen nicht die Rücksprache mit Herrn Ernst gesucht? Man darf die von Horst Walter Schenk aufgeworfene Frage an Herrn Ernst durchaus an auch die anderen Seiten richten. Hier hat nicht eine Seite Unrecht und alle anderen haben Recht. Hier geht es um ein wichtiges Anliegen für die meisten Bürger. Um ihr Interesse am Erhalt und der Gesundung der Wellingtonie. Nicht um Recht. Ernst hat einen guten Anstoß geliefert. Jetzt ist es an uns allen, daraus etwas Gutes für Stadt und Bürger, für Wirtschaft und Unternehmen, für Naturschutz und Außengastronomie zu machen. Einvernehmlich.

Kritik an Wortwahl und Sprachniveau in der Debatte bleibt so lange wohlfeil, so lange die Eliten in der Stadt, Politik, Verwaltung, Meinungsmacher, Unternehmen, Zivilgesellschaft sich an der Debatte nicht beteiligen. Die Bürgerinnen und Bürger, die das Wort ergriffen haben, taten dies ohne Absprache, ohne naturwissenschaftliches oder betriebswirtschaftliches Privatissimum, weil sie betroffen sind, von der Schönheit des Baumes, oder in Sorge um seine Gesundheit und sein Wohlergehen, weil sie die Sehnsucht umtreibt auf die wunderbaren Aussichten auf Rotwein und Spaghetti in frühlingshaft-lauer Abendluft, am, neben, jedenfalls in der Nähe des städtischen Wahrzeichens. Und vielleicht können wir am Nebentisch dereinst Anna-Rita De Lorenzo beobachten, im intensiv-freundlichen Gespräch vertieft mit Volker Ernst inmitten einer feucht-fröhlichen Runde von Freunden.

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