Der Geduldsfaden

Ein Wort zum Montag, dem 26. April 2021 

VON CORNELIA SENG

Jetzt im Frühling ist es Zeit, sich mit den Pflanzen auf dem Balkon zu befassen. Nicht alles, was ich im letzten Jahr gepflanzt habe, hat den Frost überstanden. Aus der Kastanie, die ich im Herbst in den Blumentopf gesteckt habe, ist nichts geworden – bisher. Auch die Zweige, die in der Vase Wurzeln geschlagen hatten, zeigen keine grünen Blättchen. Soll ich sie entsorgen? Ohne jedes Leben sind die Töpfe auf dem Balkon nicht schön anzusehen. Und in der Biotonne ist gerade Platz.

Mir fällt eine Geschichte ein, die Jesus erzählt hat. Der Besitzer von einem Feigenbaum wartet auf Ertrag, schon drei Jahre lang. Effizienz ist gefragt. Doch der Baum trägt immer noch keine Früchte. „Hau ihn ab!“, sagt er schließlich zu seinem Gärtner, „was nimmt er dem Boden die Kraft?“ (Lk 11,6-9). Aber der Gärtner nimmt den faulen Baum in Schutz: „Herr, lass ihn noch dieses Jahr, bis ich um ihn grabe und dünge“, bittet er. Als wolle er sagen: Mit dem Leben muss man Geduld haben. Er bittet für den Baum um Geduld. Einfach nur um Geduld. Es wird schon noch werden. Er wird noch zurechtkommen. 

Werden wir Menschen noch miteinander zurechtkommen? Fürsorglich und solidarisch? Im Moment, so scheint es mir, nimmt der Egoismus zu. Und die Verwirrung. Die „Querdenker“ verstehe ich nicht. Und Zynismus als „Kunstform“ finde ich in dieser Pandemie mehr als unangebracht. Wie kann man angesichts des Leidens so vieler Menschen „Scherze“ machen? Mein Geduldsfaden ist zum Zerreißen gespannt.

Wieviel Geduld dagegen hat Gott mit uns Menschen, um das alles auszuhalten? 

Ich will mir den Gärtner zum Vorbild nehmen. Pflegen und düngen und geduldig warten, ob nicht doch noch etwas wächst. Bei meinen Balkonpflanzen, bei den Bäumen und auch bei den Menschen.

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