Zum Andenken an Anna

Ein Wort zum Montag, dem 19. April 2021 

VON CORNELIA SENG

Ich erinnere mich gern an Anna: Die kleine, alte Frau mit dem schlohweißen Haar. Ein bisschen gebückt ging sie immer, wie eine alte Frau eben. Äußerlich war nicht viel Auffälliges an ihr. Hauptsächlich wegen ihrer Worte ist sie mir in Erinnerung geblieben. Für alles im Leben war sie Gott dankbar und wiederholte oft: „Danke, Vater!“ Als ihre Tochter mit einem Missionswerk in Afghanistan arbeitete, reiste sie nach Afghanistan. Über diese gefährliche Reise hat sie meinen Schüler*innen berichtet. Auch dieser Bericht war voller dankbarem Staunen. Sie erzählte, wie sie den Männern mit dem Maschinengewehr über der Schulter aus dem Bus zugewunken hat. Kein abfälliges Wort sagte sie über das Land, auch nicht über die Taliban. Die Schüler staunten.

Kann man so voll Frieden und Dankbarkeit sein, wie Anna es war? So voller Liebe zum Leben? Kann man sich einfach dazu entscheiden, so zu sein? Kann man sich einfach entscheiden, an Gott zu glauben?

Darüber hat der Reformator Martin Luther schon 1525 einen Disput geführt. Seine Schrift „Vom unfreien Willen“ richtet sich an den großen Humanisten Erasmus von Rotterdam. Anders als Erasmus glaubte Luther, dass der Mensch von seinen Gefühlen bestimmt ist, von Ängsten, von der Prägung durch seine Umwelt. Er kann sich nicht aus freien Stücken für das Gute entscheiden. Der viel gelesene israelische Historiker und Philosoph unserer Tage Yuval Harari spricht vom inneren „Algorithmus“, dem die Gefühle des Mensch unterliegen. Auch für ihn ist es klar: Der Mensch hat keinen freien Willen. Die Rede vom „freien Willen“ des Menschen sei ein Mythos der Philosophie.

Die „Querdenker“ scheinen das zu bestätigen. Seit der großen Demonstration sind sie Thema in Kassel. Für sie zählen Gefühle mehr als Wissen. Die Zugehörigkeit zu einer „Blase“ ist wichtiger als die Rücksicht auf den Schutz des Lebens. Geglaubt wird, was einem gerade so passt und womit man sich wohlfühlt. Mit Argumenten sind sie kaum noch erreichbar.

Um an Gott zu glauben, braucht es so etwas wie eine Initialzündung, einen Anstoß, ein Erlebnis von außen. Ein Pfingstwunder zum Beispiel, sagt die Bibel. Bei Paulus war es ein Licht, das ihn überwältigt hat. Man kann das nicht selber machen. Gott lockt und überrascht. Manche Menschen lockt er mit einer Klarheit, der sie sich nicht entziehen können. 

Nein, man kann sich nicht einfach dafür entscheiden, an Gott zu glauben. Man kann sich nicht für ihn entscheiden wie man sich für einen Schuhkauf entscheidet. Der Input kommt von Gott. 

Aber man kann sich offen halten dafür, von Gott gelockt zu werden. Man kann damit rechnen, dass es mehr als alles gibt. Und man kann darum bitten. Überraschend kann man die Spuren Gottes finden in der Natur, im Wort der Bibel und in Menschen wie Anna. Übrigens jeden Tag aufs Neue. 

Und dann kann man werden wie Anna: voller Güte und Freundlichkeit, mit Sehnsucht nach Gerechtigkeit und Wahrheit. Jeder auf seine Weise. Jede, wie es ihr liegt.

„Die Frucht des Lichts ist lauter Güte, Gerechtigkeit und Wahrheit“, lese ich heute morgen als Losung für den Tag (Eph 5,9). Und Dankbarkeit, möchte ich im Andenken an Anna zufügen.

Kommentar (1) Schreibe einen Kommentar

    • Marga Ottersbach
    • 17.04.21, 10:58 Uhr

    Ja, liebe Frau Seng,
    Dankbarkeit für mein Leben hier auf unserer wunderbaren Welt, hier in unserem Land,
    Dankbarkeit für die Begegnungen, das Teilen von Herzen,
    Dankbarkeit für mein Wachsen u lernen können, jeden Tag neu!
    Ein Wunder jeden Tag!

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