Oder wie die AfD die deutsche Amtssprache von Sternchen reinigen will
VON WOLFGANG HORN
Am 22. März soll im Hauptausschuss des Rates der Stadt ein Antrag verhandelt werden, mit dem die hiesige AfD festzustellen begehrt, „daß die Stadtverwaltung Wermelskirchen an der Amtssprache der Bundesrepublik Deutschland ohne Abstriche festhält“.
Nein, kein Witz. Worum geht es den beiden Sprachgroßmeistern der lokalen AfD, Karl Springer und Joachim Hans Lietzmann? Um Anglizismen? Um den AKÜFI, den Abkürzungsfimmel? Um schlechtes Deutsch? Sprechen und schreiben die Behörden der Republik mittlerweile schon Türkisch oder Arabisch? Oder geht es doch eher um Englisch?
Nein, nein, all das nicht. Es geht lediglich um das Gendersternchen, das Binnen-I, den wahlweise verwendeten Unterstrich oder auch den Doppelpunkt. Diese Zeichen sind in der modernen deutschen Sprache ein Mittel der geschlechtergerechten Schreibung, um in Personenbezeichnungen neben männlichen und weiblichen auch weitere Geschlechter und Geschlechtsidentitäten typografisch sichtbar zu machen und einzubeziehen. Sie sind Platzhalter zur Vermeidung des generischen Maskulinums (Künstler), um in der verkürzten Paarform (Künstler/-innen) den Schrägstrich zu ersetzen und die Bedeutung zu erweitern: Künstler*innen. Im Singular kann auch eine Person bezeichnet werden, die nicht männlich oder weiblich ist (nichtbinär). Wohlgemerkt: Das findet alles in der modernen deutschen Sprache statt, die seit je her in Deutschland Amtssprache ist und gewiß auch bleiben wird.
Das AfD-Ansinnen ist eine Posse, nicht mehr. Vor allem, weil die beiden Chefsyntaktiker des Deutschen in Wermelskirchen in ihrer Begründung sogar die deutsche Amtssprache als „international zugelassene und maßgebliche Sprache“ bezeichnen. Zugelassen? Von Wem? Der UNO? Der Sektion Deutschland der internationalen Sprachpolizei? Nein, die Sprachpolizei sind die beiden Antragsteller selber. In ihrer Begründung heißt es: “Eine (…) zeitgemäß-modische, wie auch eine mit Fremdwörtern durchsetzte Sprache ist im Interesse aller Bürger abzulehnen.“ Vorwärts in die Vergangenheit mit der AfD. Soll die Pistole wieder durch den „Meuchelpuffer“ ersetzt werden? Das Telegramm durch den Drahtgruß? Giro durch den Umbuchungsverband? Jongleur durch den Wurf-Fangkünstler? Wie gegen Ende des 18. Jahrhunderts und sogar später? Die beiden Sprachreinigungsspezialisten der völkisch-nationalistischen AfD machen sich vollends zum Gespött, wenn sie von der Stadtverwaltung fordern, daß „es abzulehnen sei, wenn in Schreiben der Stadtverwaltung Wermelskirchen von diesen Normen und der allgemein gültigen Amtssprache abgewichen wird. Insbesondere sind die Formen einer gendergerechten Sprache (mit ‚Sternchen’ oder dem Wechsel von ‚maskulinen‘ und ‚femininen“ Formen) unbedingt zu vermeiden.
Schließlich: Wenn Vertreter einer Partei, die einen erbitterten Kampf gegen Flüchtlinge führt und mit dem Nazi-Begriff der Umvolkung in Deutschland Angst vor Fremden zu machen versucht, in der Begründung auch anführt, daß durch Genderzeichen die „Lesbarkeit und das Erfassen der Inhalte erschwert“ werde, vor allem für Menschen, denen „Deutsch keine Muttersprache ist“, ist das an Zynismus nicht mehr zu überbieten. Jetzt müssen auch etwa Flüchtlinge und ihre Deutschkenntnisse herhalten, um in Wermelskirchen den Antrag auf eine Sprachreinigung zu rechtfertigen.
Man kann und darf das Gendersternchen und die anderen Zeichen mögen, verwenden, ablehnen. Man darf sich als erwachsener Mensch all diesen Formen moderner Sprache entziehen und verweigern. Ich persönlich kann geschlechtergerechtem Sprachgebrauch wenig abgewinnen, weil Sternchen oder Doppelpunkte Sprache hölzerner wirken lassen. Ich wäre eher für einen fluiden Wechsel maskuliner und femininer Formen, wissend, daß „Sprachgerechtigkeit“ auf diese Weise nicht vollends herzustellen ist.
Der Gebrauch eines Sternchens im Wortinneren ist nicht Bestandteil der amtlichen Rechtschreibung. Der Rechtschreibduden führt aber 2020 das Sternchen als „vom amtlichen Regelwerk nicht abgedeckte“ Möglichkeit des „geschlechtergerechten Sprachgebrauchs“ auf. Die Gesellschaft für deutsche Sprache erkennt das Sternchen, andere Genderzeichen oder Gender-Pausen nicht als geeignete Mittel an, um diskriminierungsfreie Sprache umzusetzen. Neben dem ZDF nutzen auch einige Medien das Sternchen zum Gendern; einige Behörden und Verwaltungen im deutschsprachigen Raum empfehlen in ihren Sprachleitfäden seine Verwendung für die interne und externe Kommunikation, etwa die Stadtverwaltung Hannover und die Universität Wien. Mit gleicher Wirkung verwenden die Stadt Lübeck und einige Medien seit 2019 den Gender-Doppelpunkt (Mitarbeiter:innen). Man sieht: In der deutschen Sprache ist so manches im Fluß. Wie immer. Wie seit Jahrhunderten. Da hilft auch keine Amtsprachenpolizei. Die Pistole hat sich durchgesetzt, den Meuchelpuffer kennt hingegen heute kein Schwein mehr.
Damit aber soll das Kapitel „AfD und Sprache“ noch nicht beendet sein. Denn die treffendste Kurzbeschreibung der deutschen Sprache, wie sie bei der AfD verwandt wird, hat der Sprachwissenschaftler und Literaturprofessor Heinrich Detering geliefert: „Nein, Gaulands Sprache ist auch hier wahrhaftig nicht die Sprache Goethes und Fontanes. Sie ist bloß der schlecht verkleidete Jargon von Gangstern.“ Gauland hat ”Versuche“ angeprangert, ”das deutsche Volk allmählich zu ersetzen durch eine aus allen Teilen dieser Erde herbeigekommene Bevölkerung“. Alice Weidel schrieb in einer Mail, das Land werde ”von kulturfremden Völkern… überschwemmt“. Mit dem Satz „Wir werden sie jagen…“ meinte Gauland die Bundeskanzlerin, um dann den Satz von Bernd Höcke in die Fernsehkameras nachzuschieben: „Wir werden uns unser Land und unser Volk zurückholen.” Wer eine deutsche Staatssekretärin in Anatolien „entsorgen“ lassen will, wie weiland Gauland, verdient sich das Urteil des Literaturprofessors allemal. Wie Alice Weidel, die im Bundestag die Begriffe “Kopftuchmädchen, alimentierte Messermänner und sonstige Taugenichtse” zur Kennzeichnung von Flüchtlingen benutzte. Es geht der AfD um das Abstecken von claims, darum, mit Reizvokabeln die Grenzen des Sagbaren auszuweiten, um öffentlichen Aufmerksamkeit, Spaltung der Gesellschaft und Festigung von Ressentiments. Wenn AfD-Granden von der Kanzlerinnen-Diktatur ebenso faktenbefreit schwadronieren wie von der Corona-Diktatur, wenn dort Sätze formuliert werden wie: „Haß ist keine Straftat“, dann sollten lokale AfD-Größen doch eher Vorsicht walten lassen, wenn es um Sprachkorrekturen oder Sprachverbote geht. Auf das Konto vor allem der AfD geht eine radikale, hetzerisch-beleidigende, spalterische, nicht begründende, sondern nur behauptende Sprachverwendung, jenseits allen Anstandes, jenseits aller kommunikativen Regeln, jenseits jeder sprachlichen Kultur. Die Gendersternchen sind ein Vogelschiß gegen den teilweisen Nazijargon der AfD.
Wenn hier im Forum Artikel unter “Wolfgang Horn” erscheinen, dann kann man schon von außen erkennen, dass es sich um eine Meinung / Kommentar handelt. Ansonsten würde dort “Chronist” stehen. Eine Kleinigkeit, die schon mal gerne überlesen wird.
Wenn hier also Artikel unter “Wolfgang Horn” erscheinen und dazu noch als Thema die AfD oder die (wie zuletzt treffend formuliert) Leerdenker oder ähnliche Gestalten zum Inhalt haben, dann freue ich mich immer ganz besonders. Denn dann wird das rhetorische Skalpell ausgepackt und bis zur Wurzel des Übels genauestens seziert. Für mich immer wieder ein echter Genuss.
Beim Gedanken an unsere Parteienlandschaft habe ich ja eher die Metapher einer bunten Blumenwiese vor Augen. Mit Blümchen, die jedes Jahr sehr konservativ an derselben Stelle wiederkommen. Und mit Blümchen, die gerne im Laufe der Zeit Richtung Sonne wandern, etc. Einzig die braune stinkende Suhle am rechten Rand stört und sollte mal endlich trocken gelegt werden…