„Wenn lasche und laue Männer versagen“

oder: Wenn Freistil und Fingerhakeln zur politischen Kategorie werden

In pandemischen Zeiten, zumal, wenn Wahlen und Wahlkämpfe anstehen und die Kontaktbeschränkungen unmittelbare Treffen mit Bürgerinnen und Wählern nicht möglich machen, gewinnt der Offene Brief offenbar wieder an Bedeutung. Heute ist es der Fraktionsvorsitzende der WNK UWG im Wermelskirchener Stadtrat und Kreistagsabgeordnete Henning Rehse, der an den Landrat, Stephan Santelmann, einen kritischen Brief zum Thema „Nutzung einer App zur Kontaktnachverfolgung“ schreibt. Der geharnischte Ton erklärt sich aus der Tatsache, daß der Brief öffentlich gemacht wurde. In einem persönlichen Schreiben lassen sich Differenzen eher klären und Lösungen finden, in einem offenen Brief hingegen werden eher heftige Kritik und mahnend-anmaßender Ton laut und der Autor geriert sich als unerschrockener Kämpfer gegen Obrigkeit und Widrigkeit, als Wahrer der einzig richtigen Lösung. Optisch unterstreichen die Ausrufungszeichen und die Verwendung von Adjektiven und Adverbien wie fassungslos, sinnfrei, inhaltsleer oder traurig sowie Substantive wie Zornesröte, Versagen, Existenzvernichtung oder ziviler Ungehorsam die eher ans gemeine Publikum denn als an den ausgewiesenen Adressaten gerichtete Funktion des Schreibens. Der Offene Brief ist derzeit eher Mittel der populistischen Übertreibung als sachgerechter Debatte und einvernehmlicher Lösung.

Hier das Schreiben von Henning Rehse:

Offener Brief an Herrn Landrat Santelmann: Stadt wartet auf Signal für die Luca App

Sehr geehrter Herr Landrat, lieber Herr Santelmann,

der heutige Artikel zur Luca App in der Wermelskirchener Bergischen Morgenpost lässt mich fassungslos zurück.

Schon allein die dort dem Kreis zugeschriebenen Verben wie „warten, auf Zeit setzen, wir müssen sehen, mit Interesse verfolgen, beobachten“ treiben mir die Zornesröte ins Gesicht.

Nichts davon müssen Sie! Rufen Sie die Kollegen in Solingen und Warendorf an, die wissen, wie es geht, und machen es!

Vor etwas mehr als einer Woche hing die Einführung der Luca App noch an SOMAS: „Nach unseren Informationen wird dies momentan in einem Pilotprojekt in der Stadt Jena getestet.“; jetzt wird ins Feld geführt, dass es sinnvoll wäre, wenn wir landesweit oder zumindest in einer größeren Region mit einem einheitlichen System zusammenarbeiten“. Ich dachte , hier wäre das Jena in Thüringen gemeint! Gibt es im Großraum Köln noch ein Jena, das ich nicht kenne und auf dessen Ergebnis wir warten?

Das zweite Impfzentrum, die Impfung in den Hausarztpraxen, die Null-Rest-Spritzen, das Impfchaos um die Lebenshilfe, die völlig sinnfrei und inhaltsleer beantwortete Anfrage eines Menschen mit Behinderung und seiner Kontaktpersonen nach einem Impftermin, die ebenfalls sinnfrei und inhaltsleer beantworte Anfrage von Interessenten für eine Warteliste beim Impfstoff AstraZeneca, die nicht beantwortete Anfrage hinsichtlich der nicht erfolgten Impfung eines über 65-jährigen Ehepaars, das in der Seniorenbetreuung tätig ist, sind traurige Kapitel einer Chronologie des Versagens.

Wenn man denn Versuche von Antworten bekommen sollte, sind diese stets nach dem Prinzip aufgebaut, seitenlang zu erklären, warum etwas nicht geht, anstatt die Energie dafür einzusetzen, dass etwas geht…

Recherchen zeigen, dass dies in NRW ein flächendeckendes Problem ist.

Wenn lasche und laue Männer beim Kampf gegen Corona überfordert sind und versagen, müssen wir hier vor Ort parteiübergreifend und angeführt vom Landrat die Dinge selbst in die Hand nehmen – ggfls. auch unter Einsatz von zivilem Ungehorsam!

Jeder Tag des Wartens und Verzögerns führt letztendlich zu Toten, Vernichtung von Existenz und dem Rückgang der Akzeptanz von Maßnahmen in der Bevölkerung!

Mit freundlichen Grüßen

Henning Rehse – Mitglied des Kreistags –

Kommentare (3) Schreibe einen Kommentar

  1. Der geharnischte offene Brief ist ein geeignetes und völlig legitimes Mittel, Druck aufzubauen, wenn die zahlreichen nicht offenen und nicht geharnischten Briefe vieler Absender zu keinem Ergebnis gefunden haben – was der sonst allwissende Chronist aber nicht wissen kann, da diese Briefe „nicht offen“ waren.

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    • EDV-Schrauber
    • 13.03.21, 19:58 Uhr

    Sehr geehrter Herr Horn,

    ich halte die Art und Weise, wie Sie den offenen Brief hier veröffentlichen für völlig inakzeptabel. Dies ist ihre Plattform, ihr persönliches kleine Reich, in dem Sie schalten und walten können wie auch immer Sie wollen. Es ist also ihre Entscheidung, den Brief zu veröffentlichen oder es zu lassen.

    Wenn Sie sich aber dazu entscheiden, den Brief zu veröffentlichen, dann sollten Sie das zuerst einmal vorurteilsfrei machen. Den geneigten Leser quasi mit einem langen Vorwort schon mal in Stimmung zu bringen und die Gedanken und Worte des Briefes schon mal vorbereitend sturmreif zu schießen empfinde ich als furchtbar schlechten Stil. Das gilt im Übrigen auch für die in meinen Augen vollkommen lachhaften offenen Briefen von Herrn Müßener und seiner Truppe.

    Sie können sich in einem Kommentar (nicht unter dem Brief, sondern als gesonderter Artikel: nur zur Klarstellung) dann gerne kritisch äußern und sowohl Inhalt als auch Verfasser mit geschliffenen und geharnischten Worten zur Schnecke machen.

    Ich als Leser empfinde diese Art der Veröffentlichung als Bevormundung, soll Sie meinem moralischen Kompass doch schon mal den Weg zeigen. Ich möchte Inhalt und Verfasser aber doch gerne selbst bewerten.

    Mit freundlichem Gruß
    -EDV-Schrauber-

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    • EDV-Schrauber
    • 13.03.21, 20:13 Uhr

    Zum Inhalt: man kann Rehse mögen oder nicht. Ich persönlich hege eine tiefe Abneigung gegen große Teile seiner politischen Einstellung.

    Ich halte den Inhalt aber auch für absolut nachvollziehbar und verstehe die Verärgerung, die dahinter steckt.

    Deutschland hat die gesamte Impforganisation vollkommen verkackt. In nahezu jeglichem Aspekt dieser Corona-Geschichte (Beschaffung, Verteilung, Impfung, Testung, Organisation) offenbart die Regierung und alle untergebenen weisungsbefugten Stellen ihr nahezu totale Unfähigkeit, natürlich gepaart mit der üblichen Korruption und Selbstbereicherung. Das dieses Verhalten große Teile der Bevölkerung frustriert zurücklässt ist wohl klar. Sie glauben doch wohl nicht, dass diese organisatorischen Vollnieten noch an einer (ich zitiere Sie wörtlich) “sachgerechte(n) Debatte und einvernehmliche(n) Lösung” interessiert sind. Jegliche Art von konstruktiver Initiative wird mit
    Verboten durch systemtreue Sesselpupser abgebügelt. Da kann ich mich mit dem Gedanken von zivilem Ungehorsam doch schnell anfreunden.

    Ich kann also (was explizit diesen Brief betrifft) dem Verfasser nur völlig recht geben, besonders was den Schlusssatz betrifft.

    Mit freundlichem Gruß
    -EDV-Schrauber-

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