Ein Wort zum Montag, dem 15. März 2021
VON CORNELIA SENG
Manchmal verschlägt es mir die Sprache. Bei allzu dreistem Verhalten und unwahren Behauptungen fällt mir nichts mehr ein.
Auch Angst kann einen verstummen lassen. „Pass auf, was du sagst, sonst holen sie dich noch ab!“, hat meine Großmutter in der Nazi-Zeit zu meiner Mutter gesagt. So hat sie es erzählt.
„In autoritären Staatssystemen gibt es nur zwei Gruppen von Menschen, diejenigen, die Angst machen, und die, die Angst haben“, habe ich diese Woche in einem Artikel gelesen. Syriens Herrscher Bashar al-Assad hält sich auf diese Weise an der Macht. Angst macht stumm, nimmt einem die Worte. Das Regieren durch Angst ist leider weit verbreitet in der Welt.
Auch Mobbing, herabsetzendes und erniedrigendes Verhalten, kann einem die Worte rauben.
Diese Erfahrung hat Hanna gemacht. Von Hanna wird im Ersten Teil der Bibel berichtet. Hanna war kinderlos geblieben. In ihrer orientalischen Kultur ist das eine Schmach. Sie wird verspottet, entwürdigt. Das Gespött hat sie mundtot gemacht. Selbst das Gebet im Tempel kann sie nicht mehr laut aussprechen. So gedemütigt fühlt sie sich. Sogar der Priester hält sie für betrunken. Aber Gott erhört Hannas Gebet auch ohne große Worte. Er hört den stummen Schrei der Erniedrigten. „Beten und jemand Recht schaffen sind im Hebräischen verwandte Wörter“, sagt die Rabbinerin, deren Bibelauslegung ich in dieser Woche online verfolgt habe. Gott erhört Hannas Gebet und schafft ihr Recht. Sie bekommt einen Sohn, – jetzt verstummt das Gespött der Leute.
Hanna findet ihre Sprache wieder und ihre Würde, ihr Selbstbewusstsein. Sie singt von dem Gott, der die Schwachen erhört und ihnen Recht schafft, denn das ist ihre eigene Erfahrung. „Er hebt auf den Dürftigen aus dem Staub und erhöht den Armen aus der Asche“ (1.Sam. 2,8). – Sie singt so laut und fröhlich, dass ich meine, es bis hierher hören zu können.
„Tu deinen Mund auf für d i e A n d e r e n !“ (Sprüche 31,8). Das war das Thema der „Woche der Brüderlichkeit“ in Kassel. Juden und Christen hören gemeinsam auf einen Text der Bibel. In diesem Jahr ging es um Hanna, die Frau, die ihre Sprache wiedergefunden hat und ihre Würde. Wer Gott auf seiner Seite weiß, kann auch für die anderen den Mund aufmachen!
„Alt sein heißt nicht stumm sein“, hat Monika Salzer, die Gründerin der OMAS GEGEN RECHTS gesagt. Omas und Opas haben Verantwortung für die Enkelgeneration. Sie haben die Auswirkungen der Nazi-Zeit selbst noch erlebt. Sie wissen, wie es ist, wenn Menschen entwürdigt und gedemütigt werden.
Manche Frauen bei den OMAS GEGEN RECHTS sind weit älter als ich,Toni zum Beispiel. Sie ist körperlich stark eingeschränkt und auf Demos von „Fridays for Future“ mit dem Rollator unterwegs. Liebevoll begleitet sie eine Flüchtlingsfamilie aus Afrika. Frauen wie Toni machen mir Mut. Mut, den Mund aufzumachen für die, die keine Lobby haben.
Das trifft für mich den Nagel auf den Kopf.
Die “schweigede Mehrheit” darf es nicht geben, wenn eine Demokratie funktionieren soll.
Eine Demokratie muss sich nicht alles gefallen lassen und es muss ihr möglich sein, die “falschen Propheten” vom Hof zu jagen.