VON JOACHIM ZAPPE
Dieses tolle Winterwetter draußen, die Übertragung der alpinen Weltmeisterschaften aus Cortina d`Ampezzo, sogar mit sensationellen Erfolgen von Kira Weidle und Andreas Sander – dem passionierten Skisportler beschleicht doch eine große Wehmut. Zugegeben, es ist eine absolute Luxus-Wehmut angesichts der Dramatik für die vielen Corona-Betroffenen in unserer Gesellschaft. Man darf aber trotzdem ohne schlechtes Gewissen davon träumen, seinen Sport wieder genießen zu können. Seit einem Jahr sagt der Skiclub Wermelskirchen zum Beispiel alle seine Traditionsfahrten für Familien, Kinder und Jugendliche ab. Diese Skisaison ist nicht mehr zu retten. Training und Wettkämpfe sind ausgesetzt. Oder: Die Skifahrt der Jahrgangsstufe 10 gehört seit Jahrzehnten zum Gymnasium wie der Weihnachtsbaum zu Wermelskirchen. Ich finde, da darf man ein bisschen wehmütig sein.
Eine Art der „Trauerbewältigung“ habe ich für mich indes gefunden. Ein Dank der Action Cam! Wenn mir bisher beim Rad- und Skifahren oder sogar beim Surfen Menschen mit kleinen schwarzen Kästchen am Helm auffielen, dann habe ich das mit gleichgültigem Interesse verfolgt. Ich sah Leute, die sich und andere mit diesen Action Cams filmisch verfolgten .Aber Hut ab vor denen, die sich mit Selfie Sticks und selbstgebastelten Stativen bei rasanter Fahrt waghalsig selbst filmen, inclusive des Beweisvideos bei eventuellen Unfällen. So hat jeder das Recht und die Möglichkeit, Action-Star zu sein. Lebe wohl Dia-Abend, es lebe die Wohnzimmer-Action!
Die Menschen mit diesen Cams haben mich in dieser Corona-Zeit zum digitalen Skifahren gebracht. Streng genommen zum digitalen Skifahren „für Arme“, denn ich habe keine teuren Apparate oder Equipment, das mich virtuell und interaktiv in die Berge versetzt. Das Einzige, was ich habe, ist ein großer PC-Bildschirm. Dann benötigt man nur noch YouTube. Man gibt sein Lieblingsskigebiet ein, z.B. Dolomiti Ski und schon erscheinen unzählige Filmbeiträge aller Collheur, die mit diesen Action Cams aufgenommen und eingestellt wurden. Auf diese Weise fahre ich virtuell die 10,8 km lange La Longia nach St. Ulrich ins Grödner Tal, die Weltcup-Abfahrt Saslong nach St. Christina, die Gran Risa in Alta Badia oder sehr empfehlenswert die Genießer- Abfahrt vom Lagazuoi nach San Cassiano. Es ist für jeden etwas dabei, die gleichen Abfahrten aus unterschiedlichen Action Cams. Die Auswahl ist enorm und teilweise sehr gut gemacht.
Es ist unglaublich: aus der Sicht der Helmkamera, in den meisten Fällen unterlegt mit cooler Musik, habe ich das Gefühl, ich bin in echt unmittelbar auf der Piste und spüre das im Sinne der Multi-Sensorik auch bis in die Fußspitzen hinein, die kanten oder steuern wollen. Da ich dort schon sehr oft gefahren bin, sehe ich auf dem Film vor mir die Stellen und Passagen, die ich genau kenne und weiß, wie ich dort normalerweise den Schwung ansetze, Kurz- oder Langschwünge fahre oder wie das Gelände nach einem unübersichtlichen Absatz weitergeht. Das alles mit den faszinierenden Blicken in die Dolomiten! Natürlich klappt das auch mit anderen Skigebieten. Versuchen wir es mal mit Trois Vallees oder mit Zillertal, oder für die ganz Mutigen Ischgl. Dort kann man bestimmt sogar virtuell an Apres Ski teilhaben, ohne sich mit Mutanten zu treffen. Wenn man`s denn will.
Beitragsfoto: Unvergleichlicher Blick auf das Dach der Dolomiten © Jochen Zappe