Ob wir wollen oder nicht: Wir müssen uns mit QAnon beschäftigen
VON JOACHIM ZAPPE
Wermelskirchen | Aus Vernehmungsprotokollen bundesweiter Razzien gegen Pädophilen-Netzwerke taucht unerwartet Wermelskirchen, die Kleinstadt mit Herz, auf. Sensationell: Unter der Tiefgarage des Rathauses in der Telegrafenstraße gibt es geheime Räumlichkeiten. Entführte Kinder aus dem gesamten Rheinisch-Bergischen Kreis werden dort von Mitgliedern des Pädophilen-Hotspots Bergisch Gladbach gefangen gehalten, sexuell missbraucht und ihnen wird Blut entnommen. Auftraggeber sind hochrangige Politiker, Wissenschaftler und Unternehmer des Landes, die aus dem unscheinbaren Wermelskirchen heraus die Welt beherrschen wollen
Bitte, liebe Leser*innen rufen Sie nicht gleich die Männer in den weißen Kitteln, um mich zuhause abholen zu lassen. Diese irre, wahnwitzige Geschichte basiert auf der aus Amerika stammenden QAnon-Bewegung, die in Amerika von Trump hofiert und für seine Zwecke instrumentalisiert wurde und wird. Die „Urgeschichte“ dieser Verschwörungsideologie wird erst richtig begreifbar, wenn man sie auf die lokale Ebene herunterbricht. Es ist höchste Zeit, sich mit dem Schwachsinn zu beschäftigen, leider, denn sonst beschäftigt sich der Schwachsinn mit uns.
Bis zum Sommer letzten Jahres habe ich Verschwörungserzählungen nicht ernst genommen. „Ein paar Spinner und Schwachmaten gibt es in jeder Gesellschaft, die muss man aushalten können“, dachte ich. „Sollen die Reichsbürger doch eine Mauer um ihren Schrebergarten ziehen, ihre Fahne hießen und ihre Hakenkreuze im Stillen polieren! Shit happens!“
Dachte ich, bis mir der Spiegel mit einer ausführlichen Titelgeschichte zu QAnon im September letzten Jahres die Tragweite dieser Bewegung drastisch vor Augen führte. Extremismusforscherin Julia Ebener vom Londoner Institut for Strategic Dialoque stellt im Spiegel QAnon als potentielle Gefahr für die nationale Sicherheit ein. Nur fünf Monate später sehen wir in den USA, dass die Befürchtungen schon längst übertroffen werden. Mitglieder von QAnon stehen beim Sturm aufs Capitol in Washington an vorderster Front.
Zehntausende Anhänger*innen der Verschwörungsideologie gibt es mittlerweile in Deutschland. Sie tauchen bei Querdenkerdemos oder in der Reichsbürgerszene auf und sind beim Sturm auf das Reichstagsgebäude munter mit dabei. Immer geht es um Kinderblut, das Virus als Waffe und die Elite, die angeblich die Welt versklaven will, immer verbunden mit einem extremen Antisemitismus.
Wer nun „Q“ ist, das kann man sich so nehmen, wie man will. Manche vermuten, dass Donald Trump hinter dem Pseudonym steckt oder der 1999 verstorbene John F. Kennedy jr. Eines ist sicher, der „Q“ von James Bond ist es nicht.
2016 ging es mit QAnon so richtig los. Der US-Wahlkampf wurde so schmutzig geführt wie nie zuvor. Gehackte Email-Accounts, russische Einflussnahme und ein Donald Trump, bei dem sich die Welt aufgrund seiner Rücksichtslosigkeit und Irrealität die Augen rieb.
Rechte Blogger, Hobbydetektive und Clinton-Hasser brachten nach dem Vorbild ihres Idols Trump die wahnwitzigsten Erzählungen unter die Leute. Dabei ging es um alles Mögliche, Politik, Trump, den laufenden Wahlkampf, um Pizza- und Nudelbestellungen. Hauptsache die Geschichten schadeten Hillary Clinton und halfen Donald Trump. Aus Nachrichten mit dem Inhalt „cheese pizza“, „Child pornography“ konnte man aus der Abkürzung „cp“ schnell die Verbindung zur Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton spinnen, „cp“ stünde für Clintons people. Aus diesen diffus-wirren Erzählungen wurde im Dezember 2016 „Pizzagate“. Ein mit einem Sturmgewehr bewaffneter Mann drang in die Washingtoner Pizzeria „Comet Ping Pong“ ein, um vermeintlich festgesetzte Kinder aus dem Keller zu befreien. Es gab aber weder einen Keller, noch entführte Kinder und auch kein Blutreservoire der gesellschaftlichen und politischen Elite. Die QAnon–Bewegung erlebte ihren Urknall.
Die Zahl der Likes, Tweets und Klickzahlen ist seither dramatisch, man kann sagen exponentiell angewachsen. Zahlreiche Plattforen im Internet dienen quasi als „Schwarzes Brett“, wo anonyme Nutzer ihre eigenen „Theorien“ ablegen können. Da kommt schon mal was zusammen. Insofern ist QAnon eine Mitmach-Ideologie, der nie der Stoff ausgeht. Laut Spiegel wurden in Amerika von November 2019 bis Juni 2020 neun Millionen QAnon-Tweets registriert. In Deutschland gab es im gleichen Zeitraum 64.000 Tweets. Die sozialen Netzwerke, in denen jedermann hemmungslos unter Ausschluss jeder Verantwortung verbreiten kann, was er/sie will, tun ihr Übriges.
So stieg beispielsweise die Zahl der YouTube-Abonnenten des deutschen QAnon-Kanals „Qlobel-charge“ von Januar 2020 bis September 2020 um 323 Prozent (!), von 24.800 auf 105.000 Mitglieder. Längst zeichnet sich ab, dass QAnon auf dem Weg ist, als erste Ideologie des digitalen Raums ins wirkliche Leben einzudringen. Mit weitreichenden gesellschaftlichen und politischen Folgen.
Es ist also höchste Zeit, sich ernsthaft mit den Verschwörungserzählungen und den Verschwörern auseinanderzusetzen.
P.S. Das „Jüdische Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus „hat am 1. Januar 2020 hier im Forum WK einen kurzen Artikel „QAnon“ veröffentlicht. Dort findet man einen Link, der zu einer 16seitigen, herunterladbaren Informationsschrift über QAnon führt. Sehr empfehlenswert.
Beitragsfoto © Joachim Zappe
Danke, dass du dich mit diesem Dreck beschäftigt hast.
Gute und informative Zusammenfassung.
Prima Artikel. Zeigt er doch, dass es nicht nur ein Phänomen der Metropolen ist, sondern auch in kleineren Städten längst angekommen ist. Was hilft sind Fakten, Fakten und nochmals Fakten.
Kinder in geheimen Räumen? Sind das die “babies in cages”, die Donald Trump zu verantworten hat? Ich kann diese Q anon Menschen nicht ernst nehmen, aber sie müssen bekämpft werden.
Vielen Dank Herr Zappe für diese Informationen. Hoffentlich lesen es auch die Menschen, die bereits auf QAnon hereingefallen sind.