Es fehlt nur noch die Lyra
VON JOACHIM ZAPPE
Fassungslos schauen wir nach Amerika und können kaum glauben, was da passiert und wahrscheinlich noch passieren wird. Denn absolut nichts scheint mehr unmöglich zu sein. Vor fünf Jahren im vorletzten US-Wahlkampf schien es unwahrscheinlich, dass dieser narzisstische, charakterlose Selbstdarsteller Präsident des mächtigsten Landes der Welt werden würde. Dann wurde er es. OK, bei Reagan war es ähnlich. Nur gerierte dieser sich dann in Würde, vom Schauspieler zum Präsidenten. Und dann Trump, seine Krönungsrede. Was er dort von sich gab, verursachte nicht nur bei mir Fassungslosigkeit und war der Startschuss für vier Jahre Lüge, Hass und Hetze, für Verschwörung und Nationalismus. Nichts an Versöhnung der politischen Lager oder Wähler nach dem Wahlkampf. Stattdessen verbreitet sich der Trumpismus in kurzer Zeit wie das Corona-Virus ungebremst in alle Welt, exponentielles Wachstum inbegriffen. Am 20. Januar wird es nicht vorbei sein. Trump wird uns wohl oder übel in Zukunft noch weiter beschäftigen.
In den Monaten vor Beginn der aktuellen US-Wahl denke ich – auch wenn der Vergleich natürlich nicht korrekt ist – an die Politik der „verbrannten Erde“ , an die Geschehnisse zum Ende des Zweiten Weltkrieges vor dem Zusammenbruch des Deutschen Reichs. Wenn der Nationalsozialismus schon nicht die Welt beherrschen kann und untergeht, dann haben die Untertanen ihre Herrscher nicht verdient und kein Recht, weiterzuleben.
Aber viel mehr verbinde ich mit dem, was Trump in den letzten Wochen fabriziert, die berühmte und unvergessliche Filmszene mit dem unglaublichen Peter Ustinov als Nero Caesar in den Monumentalfilm „Quo Vadis“ von 1951. Bitte, lieber Leser, gönnen Sie sich diese knapp drei Minuten lange legendäre Filmszene. Es lohnt sich und ist dank YouTube sehr schnell verfügbar. Dort findet man alle Elemente der Regentschaft von Trump.
Die Szene geht so. Der völlig entrückte und irre Nero schaut von seinem Palast auf das von ihm angezündete Rom. Um ihn herum seine apathischen, hilflosen Schergen. Es ist sichtbar, sie wirken frustriert und können Nero nicht mehr erreichen, geschweige denn, ihm widersprechen. Dann kommt die Schlüsselszene. Nero schaut fasziniert auf das brennende Rom.
Nero: “Petronius, schau, was ich geschaffen habe.“ Nero lässt sich Trauergewand und Lyra (Harfe) reichen „Die Geschichte wird über mein Lied richten, aber wird es dem Ereignis gerecht werden? Ich fürchte es wird ihr nicht gerecht werden.“
Petronius (vieldeutig): Ihr seid dieses Schauspiels würdig, und dieses Schauspiels ist Eurer würdig.
Nero: Ja, Petronius Du machst mir Mut. Aber ich muss mit denen in Wettbewerb treten, die den Brand von Troja besangen. Mein Lied muss größer sein, denn Rom ist größer als Troja.
Es folgt im Film dann dieser an Absurdität nicht zu übertreffende Liedvortrag Neros, der besser als alle Worte den Irrwitz, die Entrückung und den Wahnsinn des irren Herrschers ausdrückt, die man hier mit Worten nicht wiedergeben kann.
Im weiteren Verlauf des Films versammeln sich die Bürger von Rom vor Neros Palast, um diesen zu stürmen.
Nero: „Was machen die da?“ Vicolinus (Heereführer): „Sie kommen aus den brennenden Gebieten“
Petronius: „Sie wollen weiterleben“. Nero: „Wer hat Ihnen das erlaubt?“
Der Film wurde zwar mehrfach für den Oscar nominiert, blieb aber ohne Auszeichnung. Peter Ustinov erhielt für seine Rolle als Nero immerhin den Golden Globe.
Welchen Preis Donald Trump bekommen wird, bleibt abzuwarten. Ich hoffe, er wird für seine Politik, oder sollte man besser Untaten sagen, zur Rechenschaft gezogen. Knast statt Palast, wäre mein Vorschlag.