Zwischen Kompetenz und Ressentiment

VON WOLFGANG HORN

Das neue Jahr beginnt, leider, wie das Alte endete: Mit haltlosen Vermutungen, mit unbewiesenen Schuldzuweisungen, mit Pseudokritik. Mit Vorliebe an die Bundesregierung gerichtet. Zunächst waren es meist irgendwelche Vorschläge für Coronaeindämmungsmaßnahmen. Zu lasch, nicht zielgerichtet, ungeeignet. Nicht in unserem Bundesland geeignet. Was und wie auch immer. Dann mußte die Wirtschaft gerettet werden, Restaurants und Hotels sollten unbedingt geöffnet bleiben, Schulen und Kitas ohnehin. Dann wiederum mußte ein radikalerer Lockdown her, konnte es einigen nicht hart genug zugehen. 

Und jetzt wiederholt sich das ganze Salbadern mit Blick auf die Impfmaßnahmen. Zu wenig eingekauft, nicht geplant, keine Strategie, schnell neue Produktionsstätten schaffen. Eine mediale Kakophonie. Bei alldem vergessen die Kritiker nur allzu leicht, daß ihre Einreden nicht zum Erfolg beitragen. Wir haben heute das Faktum, daß man hätte viel früher der Bundespolitik folgen müssen, einheitlich, ausnahmslos, ohne all die Eitelkeiten des politischen Laufstegs. Dann hätten sich vielleicht die Einbrüche vermeiden lassen können. Vielleicht. 

Wenn die Pandemie nur noch Anlass ist, sich öffentlich bemerkbar zu machen, als der bessere Stratege, als der mutigere Kanzler, als die bessere Virologin, als der klügere Journalist, als die belesenere Beobachterin, als der gründlichere Kritiker, als der verstehendere Philosoph, was auch immer, dann verschwinden die Betroffenen, die Infizierten und Kranken, die Ärzte und das Krankenhauspersonal aus dem Fokus, dann geraten auch die Werte unserer Gesellschaft aus dem Blick. 

Hier geht es um eine weltweite Pandemie. Milliarden Menschen auf der ganzen Welt sind betroffen. Millionen sind bereits einen furchtbaren Tod gestorben. Viele Menschen werden noch sterben. Bei uns und anderswo. In der Nachbarschaft und in den entlegeneren Ecken der Welt. Wir werden der Pandemie nicht Herr, wenn wir nicht endlich in größeren Verbünden aktiv werden, etwa auf Ebene der EU. Die neo-nationalistische Sicht auf die Pandemieentwicklung nur im eigenen Land wird das Problem nicht lösen können. Insoweit ist, was offenbar im Kontext der Impfmaßnahmen erstmals in der Pandemie stattgefunden hat, nämlich eine EU-weite Koordinierung, ein erheblicher Fortschritt. 

Die Pandemie ist das allerschlechteste Feld für politische oder journalistische Profilierung. Niemand wußte zu Beginn der Pandemie, wie man ihr beikommen könnte. Niemand. Jetzt wissen die, auf die es ankommt, medizinische und epidemiologische Expertinnen, Ethiker, Politikerinnen ein wenig mehr. Ein wenig. Die meisten Menschen, das Gros der Bevölkerung weiß das alles nicht, nicht genau genug. Das YouTube- oder Facebookstudium reicht zum Verständnis keineswegs aus. Es befähigt allenfalls zum lautstarken Ressentiment.

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