Verrückt

VON WOLFGANG HORN

Meldungen von heute. Ministerpräsidenten rechnen mit einem längeren Lockdown. In Österreich gibt es in den trotz Corona-Lockdown geöffneten Skigebieten regen Massenandrang. Auf einer Corona-Demonstration in Berlin wird von einem Redner der Hitlergruß mit dem Ruf „Heil Spritze“ gezeigt. Schnee und Ferien verursachen chaotische Verkehrsverhältnisse in deutschen Ausflugszielen im Harz, im Schwarzwald und im Erzgebirge. Politiker mühen sich, die Menschen von einer länger anhaltenden Phase der Zurückhaltung und der Eindämmung von Kontakten zu überzeugen, damit die hohen Infektionszahlen endlich sinken und die Risiken vor allem für Alte, Schwache und Arme kleiner werden. Und die Wohlstandsgesellschaft hat keine andere Idee in diesen Zeiten, als im Winterurlaub Vermassung zu üben. Oder sich gemein zu machen mit geschichtsvergessenem Wahn. Die Welt ist verrückt. Nein, nicht die Welt. Menschen sind verrückt. Auch nicht alle. Nur Minderheiten von Menschen. Große Minderheiten. Es überrascht nicht wirklich, daß es nicht arme Menschen sind, die sich derart rücksichtslos und egomanisch über Regeln hinwegsetzen, nicht die Kranken und die Vulnerablen, also die Verletzlichen. Es sind die Nimmersatten, denen das Gefühl für die Gemeinschaft abhanden gekommen ist, die Ichbezogenen, deren wichtigstes Organ die Ellbogen sind, die Scheuklapprigen, die lediglich ihren eigenen Weg wahrzunehmen imstande sind, die keinen Blick haben für den Nächsten, den kranken Nachbarn, die Gesellschaft. Es sind Menschen aus den Wohlstandszentren der Welt, die auf solche Weise mit der gesundheitlichen Bedrohung der Gesellschaft umgehen, denen alles außer ihnen selbst vollkommen gleichgültig ist. Es sind nicht die Menschen in den sozialen Brennpunkten der Welt, in den Armenzentren, in Gegenden, in denen die zivile Welt zusammengebrochen ist, die gegen jede Vernunft handeln. Deren Handeln ist so rational, wie es nur sein kann. Dem Elend entfliehen, dorthin gehen, wo Menschen ein besseres Leben haben können, der Not entkommen, dem Krieg. Dorthin zu gehen, wo mit einer schlimmen Krankheit russisches Roulette gespielt wird, ist hingegen so blöd, wie es nur sein kann. Menschen, die eigentlich alles haben, sollen nicht wirklich vorübergehend auf ein wenig vom Alltagsluxus verzichten können? Die Welt ist doch verrückt. Wir alle sind verrückt, weil wir Derartiges zulassen. Resignierendes Schulterzucken darf unser aller Antwort auf diesen gefährlichen Unsinn nicht sein. Nicht nur jedenfalls. Kein Mensch kommt ohne andere aus. Wir alle brauchen Polizisten, Ärzte, Feuerwehrleute, Pfleger, Krankenschwestern, Verkäuferinnen, Köche, Metzger, Journalisten, Zugfahrer, Forscher, Schaffner, Arbeiter, Taxifahrer, Möbelschreiner, Unternehmer, Künstler, Dichter oder Musiker. Kein Mensch kann als Eremit leben, ganz für sich. Und also muß Rücksicht sein in einer Gesellschaft, ein Mindestmaß an Rücksicht, an Respekt, an Achtung vor dem nächsten. Menschlichkeit. Wir, die Mehrheit, sollten drauf bestehen. Auch laut.

Kommentare (5) Schreibe einen Kommentar

  1. Und was wäre Dein Vorschlag?
    Laut um einen Marterpfahl herumtanzen und um Verständnis für diese Gesellschaft singen?
    Mit den Spinnern diskutieren nutzt ja nichts. Aufklärung nutzt ja nichts. Auf´s Maul hauen macht man ja nicht.

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      • Christoph Marr
      • 28.12.20, 23:54 Uhr

      Das ist so unfassbar das man bald sagen müsste „einen aufs Maul hauen“ muss bald Tatsache werden! „Willst du nicht hören, so musst du fühlen…!“. So unten ich das genau wie Lutz schreibe, so wahr ist es leider inzwischen…! Heute unter andrem in den Nachrichten – Winterberg im Sauerland überrannt. Unter anderen trifft sich dort die „Drifter-Szene“ – junge Kerle, die scheinbar nichts anderes zu tun haben als mit qualmenden Reifen bei Vollgas durch die Gegend zu schleudern mit ihren Scheißkarren! Und das sogar mitten im Ort! Das kann ich nur noch kübelweise kotzen!🤮🤮🤮 Diese Idioten verdienen doch nur noch Prügel!!!😡

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    • Walter Schubert
    • 29.12.20, 8:11 Uhr

    Warum funktioniert das Tempolimit in Holland, in Frankreich oder in der Schweiz? Nein, nicht weil die Bürger dieser Länder bessere Menschen sind, weil sie einsichtig, rücksichtsvoll und vernünftig sind. Es funktioniert weil das Tempolimit streng kontrolliert wird und es so harte Strafen gibt, dass es richtig weh tut. Eine andere Lösung sehe ich bei den drängelnden Idioten am Skilift leider nicht.
    Bei den genannten Drift-und Schleuder-Bekloppten würde sich zum Beispiel anbieten die Karren zu beschlagnahmen und sie zu Gunsten einer sozialen Einrichtung zu versteigern. Dann hätte das Ganze doch noch etwas Gutes.

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    • Stefan janosi
    • 29.12.20, 9:29 Uhr

    Bei vielen dieser Menschen hilft NOCH: sachliches Argumentieren, respektvolles zuhören, Befürchtungen ernstnehmen, und dadurch versuchen zu überzeugen. Das gelingt in vielen Fällen. Damit meine ich nicht die schon verlorenen Verschwörungstheorektiker und Spinner, aber es gibt auch noch genug Menschen die einfach nur Zweifel oder Befürchtungen haben, da lohnt sich ein Versuch überzeugen zu wollen.
    Was garantiert nicht hilft: Drohungen, lächerlich machen, Angst erzeugen. Das trägt nur zur weiteren Spaltung der Gesellschaft bei.

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    • Wolf
    • 29.12.20, 11:43 Uhr

    Sind wir das nicht alle selber ein wenig mit schuld?

    Wir erschaffen Konstrukte und Systeme in denen wir leben und uns wohlfühlen möchten. Unser zuletzt erschaffenes System hat uns bis hierhin über 75 Jahre Frieden, Wohlstand und Sicherheit erbracht. Es kann also nicht so ganz verkehrt sein. Aber es ist in meinen Augen verbesserungswürdig, denn es ufert aus.
    Wir sind heute an einem Punkt angelangt, an dem es nur noch einen Wert gibt. Ein Wert, dem alles andere gnadenlos untergeordnet wird. Und dieser Wert ist das Geld. Wir alle wachsen auf in dieser Welt und lernen, dass alles seinen Preis hat. Das Leben, der Tod, alles! Und wir alle sind ein Teil dieser Welt. Warum kaufen wir bei Aldi ein? Warum freuen wir uns, wenn wir ein Schnäppchen gemacht haben. Und warum wünschen wir uns alle einen großen Lottogewinn? Geld macht uns augenscheinlich frei, Geld macht uns unabhängig, aber Geld sucht sich eher selten die guten Menschen aus. Und wenn ich diese falsche Freiheit und Unabhängigkeit bereits vorgelebt bekomme, wenn ich diese falschen Werte bereits mit der „Muttermilch“ aufsauge, was soll da bitteschön gescheites bei rauskommen? Warum etwas ändern wenn es mir doch gut geht? Ich will meinen Spaß, was interessieren mich die anderen?

    Im Kleinen können wir maximal versuchen Vorbild zu sein und auf die richtigen Werte zeigen.

    Im Großen würde ich mir ein paar Korrekturen in der politischen Landschaft wünschen.
    – Lobbyarbeit z.B. gehört meines Erachtens raus aus der Politik und rigoros verboten
    – Wir müssen verhindern, dass Menschen mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung, oder sogar waschechte Psychopathen, in Führungspositionen (sowohl in der Wirtschaft wie auch in der Politik) gelangen. Ich rede hier über kranke Menschen. Wir brauchen keine Helden, wir brauchen Vorbilder mit Gewissen! (dieser Punkt ist mir besonders wichtig, denn ich bin zu oft viel zu nah dran an solchen gestörten Persönlichkeiten und weiß sehr genau, wozu sie fähig sind)
    – für bestimmte Bereiche (z.B. Bildung und Gesundheit) dürfen marktwirtschaftliche Prinzipien nicht gelten. Für diese Bereiche müssen immer alle erforderlichen Mittel zur Verfügung stehen.

    Leider habe ich keinerlei Ahnung wie so etwas umzusetzen wäre. Aber ich bin einigermaßen davon überzeugt, dass es ein guter Anfang wäre.

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