Update: Leben wir in einer „Corona-Diktatur“? Das Ende eines Briefwechsels

Update: So schnell kann es gehen. Gestern noch waren wir froh, daß es zum (brieflichen) Dialog zwischen zwei Menschen aus unterschiedlichen gesellschaftlich-politischen Welten kommen kann. Heute vermelden wir das jähe Ende dieses Zwiegesprächs. Leider:

Leben wir in einer Corona-Diktatur?

Vom Ende eines Briefwechsels mit einer Querdenkerin

Heute Morgen hatten die OMAS GEGEN RECHTS – Kassel eine Mail von Frau B., die sich selbst zu den Querdenkern zählt, im Postfach.

Sie schreibt: 

„Demonstrationen für Frieden – Freiheit – Demokratie (Querdenken) werden inzwischen vom Bundesverfassungsgericht verboten.

Willkommen in der Coronadiktatur

Wenn Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht und Gehorsam zum Verbrechen.

Mit freundlichen Grüßen,

E.B.

Mit dieser Aussage ist der Dialog wohl zu Ende. Schade. Viele Menschen hatten geschrieben, sie hofften, dass ein Gespräch mit „Jana aus Kassel“ zustande käme. 

Was mir Sorgen macht, ist die Verwirrung der Begriffe „Frieden – Freiheit – Demokratie“. Die eigene Verantwortungslosigkeit wird als „Freiheit“ kaschiert. Rechtspopulisten ist es gelungen, die Begriffe zu verdrehen. Und viele merken es nicht einmal.

Das macht eine Verständigung immer schwerer bis unmöglich. Wir werden im gelebten Leben deutlich machen müssen, was wir unter „Frieden – Freiheit – Demokratie“ verstehen. 

Immerhin: Frau B. hat immer mit einem vollen Namen unterschrieben, die Abkürzung habe ich vorgenommen. Und sie hat nicht mit Hass und Hetzte reagiert. Das ist mehr als nichts. Ein Versuch war es wert. 

Ein Dialog, ein Briefwechsel, der die Chance auf Verständigung nicht von vornherein verloren gibt, ist in diesen mitunter hermetischen Zeiten ein gutes Zeichen. Aus diesem Grunde veröffentlichen wir an dieser Stelle den Briefwechsel von Cornelia Seng, Pfarrerin im Ruhestand und ehemalige Sprecherin der Wermelskirchener Flüchtlingsinitiative “Willkommen in Wermelskirchen” und heute Mitglied der “Omas gegen Rechts” in Kassel, mit Frau E.B.
Für das Forum Wermelskirchen
Wolfgang Horn

„Jana aus Kassel“ ist bekannt geworden durch ihren unsäglichen Vergleich mit Sophie Scholl. „Seit Monaten bin ich aktiv im Widerstand“, hatte sie bei einer Querdenker-Demonstration gesagt.
Die OMAS GEGEN RECHTS aus Kassel haben ihr daraufhin einen Offenen Brief geschrieben.

Daraufhin hat sich ein Briefwechsel mit Frau B. ergeben. Frau B. verteidigt Janas Position. Wir befänden uns in einer Diktatur, behauptet auch sie. Cornelia Seng hat für die Gruppe der OMAS GEGEN RECHTS auf diesen Brief geantwortet.

Auf den ersten Brief erfolgte ein zweiter. Der auch wieder eine Antwort verdient. Den gesamten Briefwechsel finden Sie hier.

Frau B. schreibt am 2.12.2020:
„Liebe Omas gegen Rechts, schön, dass Sie sich gegen Rechts positionieren. Das ist gut und richtig so. Aber Jana aus Kassel ist nicht rechts. Jana macht sich, wie viele Andere, Sorgen um unsere Demokratie-Das Dritte Reich war furchtbar und die Diktatur ist schleichend gekommen. Der gemeinsame Feind waren die Juden.Jetzt sind wir in der gleichen Situation. Der gemeinsame Feind ist Corona. Und alles aufgrund der Aussage von Herrn Drosten und des RKI. Wir Älteren haben schon viele Infektionen überstanden. Allein an Krankenhauskeimen sterben in Deutschland jedes Jahr ca. 20 000 Menschen. Selbst die gefährliche Schweinegrippe (die Herr Drosten ausgerufen hat) haben wir überstanden.  Den Coronavirus gibt es. Er ist gefährlich. Aber nicht so gefährlich, dass die Wirtschaft und unsere Zusammenleben so zerstört werden müssen. Die Kollateralschäden sind inzwischen viel schlimmer als die Folgen des Virus. Sie schätzen unseren Staat mit unserer parlamentarischen Demokratie. Das Parlament hat das neue Infektionsschutzgesetz beschlossen. Aufgrund dessen werden zur Zeit von den Ministern und der Bundeskanzlerin ohne Mitwirkung des Parlaments:
Gaststätten geschlossen – freie Ausübung eines Berufes-
Schulen und Kindergärten geschlossen – Recht auf Bildung-
Sie dürfen in der Öffentlichkeit nur mit wenigen Personen Kontakt haben – Versammlungsfreiheit-
gegen friedliche Demonstranten werden Wasserwerfer und Reizgas eingesetzt. Sie werden diffamiert als Coronaleugner und Verschwörungstheoretiker. Es gibt eine mediale Hexenjagt sh. Jana aus Kassel-
Kirchen nur unter strengen Auflagen öffnen – Religionsfreiheit-
Besuchsverbote im Krankenhaus und im Seniorenheim – Versammlungsfreiheit-
alle Kulturbetriebe stillgelegt werden – Berufsfreiheit-
Beherbergungsverbot- Strenge Regeln für private Feiern-
Regeln für Beerdigungen-
Kinder sollen nicht miteinander spielen und Masken tragen.-
in Nürnberg darf man die Wohnung nur mit trifftigen Grund verlassen. Und das wir kontroliert.  
Merken Sie, was uns verboten wird und das etwas falsch läuft?  Und heute kündigen uns die Politiker an, dass selbst mit Impfstoff weiter die AHA-Regeln beachtet werden müssen. Das ist die Neue Normalität. Wie kann man dann noch von Demokratie sprechen?  Die Meinung von Ärzten und Wissenschaftlern, die diese Maßnahmen für unverhältnismäßig halten, wird in den Medien unterdrückt.  Diese Verbote, die ohne den Bundestag und ohne die Länderparlamente beschlossen wurden, sprechen für mich sehr für Diktatur.  Ich hätte mir diese Verbote in unserer freien Gesellschaft niemals vorstellen können. Konnten Sie sich das vorstellen? Mit freundlichen Grüßen, E.B.“

Die Antwort von Cornelia Seng erfolgte am 6.12.2020 hier im forumwk:

Sehr geehrte Frau B.,

Ihren Aussagen entnehme ich, dass Sie nicht zur Enkelgeneration zählen. Sie wissen also, was Sie da sagen und brauchen keinen „Welpenschutz“. 

Ihrer Aussage gleich im ersten Absatz muss ich in aller Deutlichkeit widersprechen. „Der gemeinsame Feind waren die Juden“, schreiben Sie. Ich hoffe, Sie meinen das nicht, wie ich es verstehen muss. Juden waren normale deutsche Bürger! Keine Feinde! Sie wurden zu Feinden erklärt durch die menschenverachtende Ideologie der Nazis. Eine Ideologie, solange verbreitet, bis leider viele nicht mehr widersprochen haben. Ihr Satz verdreht die geschichtliche Wahrheit. Das versuchen heute wieder rechtsradikale Kräfte.

Corona ist ein Virus, eine ansteckende Krankheit, wissenschaftlich nachzuweisen im Labor. Die Übertragung von Mensch zu Mensch ist inzwischen gut erforscht. Dagegen hilft nur Abstand halten, das ist für jeden einfach zu verstehen. 

Auf diese einfache Erkenntnis antworten die Regierenden mit entsprechenden Maßnahmen zur Einschränkung der Pandemie, cool und sachlich. 

Die Kanzlerin hat die Maßnahmen „eine demokratische Zumutung“ genannt. Mir scheint, Sie stimmen ihr zu.

Nein, wir leben nicht in einer Diktatur! Auch nicht die Schweden, Spanier, Amerikaner. Diese Maßnahmen verhindern schlicht noch mehr Todesopfer. Wenn ich weiß, einen Menschen zu schützen, und tue es nicht, bin ich dann nicht mit schuld an seinem möglichen Tod? Das Virus wird in seiner Freiheit eingeschränkt! Vorübergehend. Nicht mehr und nicht weniger.

Die Einschränkung der Grundrechte erfolgt nur, um das Recht auf Leben zu schützen. Wenn Sie tot sind, nutzt Ihnen auch die Versammlungsfreiheit nicht mehr. Das Recht auf Leben steht nun mal an erster Stelle. Das „Diktatur“ zu nennen, soll Unzufriedenheit wecken und Empörung schüren. So haben das die Nazis mit der Mär „vom Juden“ auch gemacht.

„Sorgen um unsere Demokratie“ sollten Sie sich eher machen, wo Flüchtlinge unter Generalverdacht gestellt werden und man Menschen im Mittelmeer einfach ertrinken lässt. 

Mit freundlichem Gruß,
C. S.

Ps: Ich wünsche Ihnen sehr, dass die Intensivstationen noch nicht überfüllt sind, falls Sie das Virus übel erwischen sollte.

Am selben Abend noch hat Frau B. geantwortet, am 6.12.2020:

„Danke für Ihre Antwort,

Ja. ich bin eine Oma.

Ich möchte nicht das meine Enkel mit Maske im kalten Klassenzimmer sitzen. Ich möchte, dass sie spielen, lachen, toben können. Sie sollen keine digitalen Umarmungen austauschen. Und sie sollen nicht lernen, sozialen Abstand zu halten.

Diese kleinen Einschränkungen sollen noch Jahre bleiben. Hören Sie unserer Kanzlerin zu. Im ZDF und in der ARD sagen alle Virologen, wir wissen nicht ob die Impfung vor Infektionen schützt. Die AHA-Regeln bleiben uns die nächsten Monate noch erhalten.

Sprechen Sie mit den Senioren in den Altenheimen.

Das Ordnungsamt hat auf einer Beerdigung nichts, aber auch gar nichts zu suchen. Trauernde dürfen nicht umarmt werden. Ist das die Zukunft für die Sie kämpfen?

Ich werde mir nicht aus Angst vorm Sterben das Leben nehmen lassen. Und zum Leben gehören Freunde, Familie, Berührungen und Umarmungen. Einsamkeit und Isolation ist auch eine Art zu sterben.

Eine Therapie darf nie schlimmere Folgen haben, als die Krankheit selbst. Sehen Sie sich um. Ich kenne niemanden, der infiziert war, geschweige denn, jemanden der erkrankt war. Ich kenne aber unzählige Menschen, die gesundheitliche Schäden durch die Maßnahmen haben. Ich denke da nur an mangelnde Sportmöglichkeiten, Depressionen und Kontaktarmut besonders bei Senioren.

Information ist alles.

Ich wünsche Ihnen, dass Sie in einem Krankheitsfall nicht einsam ohne Besuch in einem Einzelzimmer ohne Ansprache liegen müssen. Ich wünsche Ihnen eine Hand die Ihre hält

Mit freundlichen Grüßen,
E.B.“

Antwort von Cornelia Seng an Frau B. am 8.12.2020:

Sehr geehrte Frau B.,

Sie schätzen unser Anliegen völlig falsch ein, wenn Sie schreiben: „Ist das die Zukunft, für die Sie kämpfen?“ Sie unterstellen, wir hätten uns diese Maßnahmen gegen die Pandemie gewünscht!
Das ist bösartig.

Wir leiden genauso wie Sie unter den Einschränkungen! Auch wir haben Enkel*innen und wünschen uns nichts sehnlicher, als dass sie fröhlich und unbeschwert aufwachsen können. Je konsequenter wir gemeinsam die Krankheit bekämpfen, desto eher können sie das wieder.

Sie verwechseln die Ursache, den Corona-Virus, mit den Maßnahmen dagegen! Dass Sie noch niemanden kennen, der infiziert war oder gar gestorben ist, liegt nur daran, dass die Maßnahmen bisher soweit erfolgreich waren. Davon profitieren auch Sie!

Auch wenn Sie persönlich keine Angst vor dem Sterben haben, wie Sie schreiben, bitte respektieren Sie den Wunsch anderer, diese Pandemie überleben zu wollen. Und es gibt angenehmere Arten zu sterben als an einem Beatmungsgerät!

Niemand will Ihnen Ihre Freiheit nehmen! Hinter den Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie steht keine (weltweite) Verschwörung! Fallen Sie nicht auf rechte Parolen herein!

Die Nazis haben von einer Verschwörung des „Weltjudentums“ geredet, bis viele das glaubten.
Wir erleben in dieser Pandemie, dass rechte Kräfte, die diese Demokratie unterwandern wollen, wieder eine Verschwörungstheorie verbreiten.

Nicht mit uns OMAS. Die „Stolpersteine“ für die ermordeten Juden liegen überall in den Städten Europas. Wir OMAS putzen sie. Hier in Kassel haben wir uns an Wächterdiensten vor der Synagoge beteiligt in Erinnerung an die schreckliche Tat in Halle vor gut einem Jahr.

Diese Pandemie ist ausgelöst von einer Krankheit, von einem Virus, das Menschen unterschiedlich erkranken lässt. Wir wissen, wie wir uns und andere davor schützen können.

Ich wünsche Ihnen, gerade in dieser Zeit, ein gesegnetes Weihnachtsfest.

Mit freundlichem Gruß,
Cornelia Seng

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