Update: OFFENER BRIEF DER OMAS AUS KASSEL AN „JANA AUS KASSEL“

Wir wissen gar nicht, ob wir Sie auf diesem Wege erreichen können. Aber wir wollen es versuchen. „Wir“ sind die „OMAS GEGEN RECHTS aus Kassel“ und möchten gerne mit Ihnen ins Gespräch kommen. „Wir“ sind zwar nicht alle echte Omas. Die meisten von uns könnten aber locker Enkel*innen in Ihrem Alter haben. Deshalb fällt uns das „Sie“ auch schwer. Dürfen wir mit „Du“ weiterschreiben? Wir OMAS gehören zwar nicht mehr zu den Zeitzeugen der Nazi-Zeit und des Holocausts, aber wir alle sind mit Eltern groß geworden, die in dieser dunklen Zeit in Deutschland gelebt haben. An unseren Eltern (und Großeltern) haben wir verstanden, was es bedeutet, in einer Diktatur zu leben, in der nur die Meinung der Mächtigen gilt. Sie alle waren mehr oder weniger verfangen in der nationalsozialistischen Idee von der Stärke der „Herrenmenschen“ und der Unterwerfung derer, die ihrer Meinung nach als minderwertig zu betrachten waren. Sie waren Opfer, Schweigende oder Täter. Reste aus dieser menschenverachtenden Ideologie der Nazi-Zeit waren noch in unserer Erziehung lebendig. Wir konnten uns nur langsam daraus lösen. Für uns bedeutet es sehr viel, in der freiheitlichen Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland groß geworden zu sein. Wir konnten uns als Frauen ausprobieren ohne staatliche Bevormundung. Wir konnten einen Beruf ergreifen, am öffentlichen Leben teilnehmen. Wir bestimmen mit! Diesen Staat mit seiner parlamentarischen Demokratie schätzen wir sehr. Und wir wünschen auch Dir, dass Du – Dein hoffentlich ganzes Leben lang, in dieser freiheitlichen, parlamentarischen Demokratie leben kannst. In unserer Demokratie gelten die gleichen Rechte für alle, unabhängig von der Hautfarbe, der Religion oder dem Mann- oder Frausein. Und wo dies nicht verwirklicht zu sein scheint, da kann man dieses auch gegen den Staat einklagen. Auch Du darfst öffentlich reden und wirst dabei sogar von der Polizei geschützt! Anders als z.B. junge Leute in Hongkong wie Joshua Wong, der vor kurzem von Pekings Machthabern inhaftiert wurde. Die Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut, dazu stehen wir. Jeder darf durch freie Wahlen die Regierung mitbestimmen. Und die gewählte Regierung hat die Aufgabe, Entscheidungen zu treffen, die alle betreffen. Wie jetzt in der Pandemie. Auch wir OMAS sind nicht immer glücklich mit dem, was die Regierung entscheidet. Der Umgang mit Flüchtlingen z. B. müsste sich viel deutlicher an den Menschenrechten orientieren. Und die Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels scheinen uns zu halbherzig. Manche von uns gehen mit „Fridays for Future“ auf die Straße. Natürlich sind wir auch nicht alle einer Meiniung, was die Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie angehen. Und ob nicht doch die Briten oder die Schweden den besseren Weg gewählt haben. Das können wir gerne diskutieren. Sehr ungern würden wir mit Trillerpfeifen lautstark widersprechen, wenn Du vorhättest, Deinen falschen und dummen Vergleich mit Sophie Scholl in Kassel zu wiederholen. (Bei männlichen Rednern, deren rechtsextremistische Reden uns dumm und gefährlich erscheinen, haben wir das schon gemacht.) Wir würden gerne mit Dir reden über unsere Erfahrungen in diesem Land, auch darüber, was die nationalsozialistische Diktatur wirklich war, welches Lebensrisiko Sophie Scholl auf sich nahm und was die Aufgabe einer demokratisch gewählten Regierung ist. Auch über das Für- und Wider der Maskenpflicht, die gerade uns Ältere tatsächlich etwas mehr Schutz bietet – wenn auch die Jüngeren mitmachen. Du findest uns im Netz:

Omas gegen Rechts Deutschland-Bündnis

Deine OMAS GEGEN RECHTS aus Kassel am 26. November 2020

omas-gegen-rechts-kassel@posteo.de

Kommentare (6) Schreibe einen Kommentar

    • Marie-Louise Lichtenberg
    • 29.11.20, 13:06 Uhr

    Sehr gute Antwort auf den unsäglichen Auftritt von Jana aus Kassel. Vielen Dank, Cornelia.

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    • paselkop
    • 01.12.20, 0:24 Uhr

    Gut geschrieben.

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      • Sandra
      • 04.12.20, 15:41 Uhr

      Höre zum ersten Mal von “Omas gegen Rechts”.
      Danke für ihre Worte an Jana! Bleibt zu hoffen, das Sie reifen möge und vor allem realisiert, das wäre Sie wirklich Sophie wohl nicht mehr allzu lange leben dürfte.
      Ich glaube – selbst in der Generation der Enkel -sind in vielen Familien noch die Folgen des Krieges mit all den Traumatisierungen wirksam.
      Umso wichtiger daran zu erinnern, was Diktatur, Krieg und Gewalt für eine zerstörerische Kraft hat.
      Danke Jana, denn durch Sie habe ich von Omas gegen Rechts gehört. Reden Sie mit denen!

      Antworten

    • Michael Schmitt
    • 02.12.20, 10:45 Uhr

    Hoffentlich erreicht die Botschaft dem Sinn nach die junge Generation die nach uns kommt. Die Chance besteht m.E. 50:50
    Ich wünsche gutes Gelingen

    Antworten

    • Sandra
    • 04.12.20, 17:12 Uhr

    Höre zum ersten Mal von “Omas gegen Rechts”.
    Danke für ihre Worte an Jana! Bleibt zu hoffen, das Sie reifen möge und vor allem realisiert, das wäre Sie wirklich Sophie wohl nicht mehr allzu lange leben dürfte.
    Ich glaube – selbst in der Generation der Enkel -sind in vielen Familien noch die Folgen des Krieges mit all den Traumatisierungen wirksam.
    Umso wichtiger daran zu erinnern, was Diktatur, Krieg und Gewalt für eine zerstörerische Kraft hat.
    Danke Jana, denn durch Sie habe ich von Omas gegen Rechts gehört. Reden Sie mit denen!

    Antworten

    • Cornelia Seng
    • 21.12.20, 16:24 Uhr

    E-Mail: sophia.plum@hotmail.de
    URL:
    Kommentar:
    Liebe Omas gegen rechts,

    Leider habe ich Ihren offenen Brief viel zu spät gesehen, aber ich möchte mich dennoch für die sachlichen Worte bedanken.

    Meine Oma (*1930) hat den zweiten Weltkrieg in ihrer Kindheit und Jugend noch miterlebt und dabei wohl auf mehr verzichten müssen als die meisten Kinder in Deutschland durch die Corona-Pandemie. Meine Oma konnte dieses Jahr viele Dinge, die sie gerne gemacht hätte (z.B. ihren 90. Geburtstag feiern) nicht tun. Sie ist zwar topfit, aber Risikopatientin ist sie trotzdem.
    Es macht mich wütend, wenn ich dann Leute sehe, die sich nicht an einfache und wirklich verhältnismäßige Maßnahmen des Infektionsschutzes (z.B. Maske tragen) halten und daher dafür sorgen, dass Menschen wie meine Oma stärker eingeschränkt bzw. unsicherer sind. Wenn man aber noch zusätzlich die grausame NS-Zeit verharmlost, dann macht mich das sprachlos… Deshalb vielen lieben Dank, dass Sie das für mich und viele andere übernommen haben.

    Bleiben Sie alle gesund! 🙂

    PS: Ich möchte pandemiebedingte Sorgen, Nöte, Verzicht u.ä. für Kinder und Jugendliche in Deutschland mit dem Vergleich zur Generation meiner Oma nicht klein reden, schließlich gibt es reale Probleme. Aber um nochmal auf meine Oma zurückzukommen, sie sagt im Bezug auf die aktuellen Einschränkungen meist etwas wie: „Es ging die letzten Jahrzehnte fast immer aufwärts und jetzt ist es eben mal anders, da sollten wir jetzt nicht jammern, sondern lernen damit umzugehen.“. Ich finde, sie hat damit nicht ganz Unrecht und im Großen und Ganzen geht es uns in Deutschland echt gut. Ich bin jedenfalls sehr froh hier zu leben.

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