Aus den Fugen

VON WOLFGANG HORN

Eine Fuge ist eine Verbindungsstelle zwischen zwei Teilen, etwa eines Bauwerkes oder Werkstückes, wobei das deutsche Wörterbuch der Gebrüder Grimm noch eine ältere Bedeutung von “Fuge” enthält, nämlich Passlichkeit, Angemessenheit. Die Redensart “Aus den Fugen geraten” bezieht sich auf beide Aspekte des Begriffs Fuge. 

Zwei Nachrichten, ganz aktuell, von ntv: 

Sidney Powell ist nicht mehr Mitglied in Trumps Anwaltsteam, weil ihre Verschwörungstheorien selbst nach dessen Maßstab zu wild waren. (…) Nun hat die Juristin in Georgia (…) eine neue Klage eingereicht. “Fast jeder Aspekt von Georgias Allgemeiner Wahl vom 3. November war in Geheimhaltung gehüllt, voller Fehler, und durchdrungen von Anomalitäten so unerhört, dass die Ergebnisse unmöglich zertifiziert werden können”, heißt es in der Klageschrift. “Dementsprechend müssen die Ergebnisse für die Präsidentschaft und den Kongress der Wahl vom 3. November 2020 aufgehoben werden (…).” Beweise für ihre Anschuldigungen legte Powell, die bislang mit allen Bemühungen gegen die Wahl scheiterte, nicht vor.

Ein Streit über die Einhaltung der Corona-Auflagen zwischen Polizisten und Feiernden ist in der Erfurter Innenstadt in der Nacht zum Samstag eskaliert. Die Polizei nahm nach eigenen Angaben sieben Verdächtige in Gewahrsam. Sie erstattete Anzeigen wegen tätlichen Angriffs auf und Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte, versuchter gefährlicher Körperverletzung, Beleidigung und Verstoßes gegen die Corona-Auflagen. Die Verdächtigen gehörten demnach zu einer Gruppe von rund 25 Menschen, die am Abend an einer Straße ohne Masken und ohne Einhaltung des Abstands gefeiert und Alkohol getrunken hatten. Als Einsatzkräfte die Feiernden über die “einzuhaltenden Schutzmaßnahmen belehren” wollten, seien sie aus der Gruppe heraus angegriffen worden. (…)

Die Welt ist offenbar aus den Fugen. Nichts ist mehr angemessen, nichts passt mehr zueinander, im Milieu von kleinkriminell-asozialen Dummköpfen und Säufern wie in dem bestens ausgebildeter, aber scheuklappriger und ideologisch völlig verblendeter und gegen jede Realität blinden Teil der US-amerikanischen Eliten um den noch amtierenden Präsidenten herum. Was für eine Welt, in der diese beiden Milieus bestens zusammenpassen wegen ihrer beider Weigerung, die Realität zur Kenntnis zu nehmen, den Anstand nicht aufzugeben, die Nächstenliebe nicht fallen zu lassen, die besten menschlichen Eigenschaften zu bewahren, Empathie, Solidärität, Schutz der Schwachen, Schutz der Gemeinschaft, Respekt für Wissenschaft und Forschung. Die Mehrheit der Gesellschaft, die Armen und Schwachen, auch die Wohlhabenden und Reichen, Fortschrittlich-Liberale wie Konservative, religiöse wie agnostische Kreise, hochgebildete wie handwerklich-technische Milieus, Arbeiter, Angestellte oder Unternehmer, wir alle, die wir die Mehrheit darstellen, müssen uns dem dumpfen Populismus, in Deutschland in der völkisch-reaktionären Variante, entgegenstellen, der gesellschaftlich Erprobtes entwertet, die einen gegen die anderen aufhetzt, mit dem Rechtsextremismus paktiert, die Regeln des Anstandes und der öffentlichen Kommunikation aufhebt, gegen Fremde und Fremdes wütet. Wir wissen es alle besser. Eigentlich.

Kommentar (1) Schreibe einen Kommentar

    • Wolf
    • 30.11.20, 14:18 Uhr

    Ich habe einen Kollegen auf der Arbeit. Seit Aufkommen der AfD fühlt er sich zu dieser Gruppierung hingezogen und hat sehr viele ihrer Stammtischparolen übernommen. Irgendwann haben wir uns darauf geeinigt, uns nicht mehr über Politik zu unterhalten, da die letzten Diskussionen schon recht lautstark ausgetragen wurden. Da ich meinen Kollegen ganz gut kenne, weiß ich aber auch, dass er im Kern kein schlechter Mensch ist. Und deshalb habe ich dieses Thema immer wieder vorsichtig angeschnitten. Einfach um mal den aktuellen „Wasserstand“ zu ermitteln. Jetzt endlich, nach so langer Zeit, konnte ich ihn schon mal ansatzweise zu einem Umdenken bewegen. Und so banal es klingt: das Aufzeigen der christlichen Werte unserer Gesellschaft und der Vergleich mit „seiner“ AfD haben ihn sehr nachdenklich gemacht. Ob das am Ende ausreichend ist, wird die Zeit zeigen.

    Was ich eigentlich damit sagen möchte: die deutliche Mehrheit der Bevölkerung, die aus gutem Grunde eben nicht den populistischen Schreihälsen hinterherrennt, muss sich selbstredend von dieser Minderheit distanzieren. Und im Zweifelsfalle muss man bestimmte Gestalten auch einfach ausgrenzen, weil es einfach keine andere Möglichkeit gibt. Aber es gibt halt eben auch genug Menschen, die ich einfach mal als Irrläufer bezeichnen würde und um die es sich zu kämpfen lohnt. Deshalb halte ich es für wichtig aufzuzeigen, dass wir ALLE gefordert sind, diesen Kampf auch im Kleinen aufzunehmen. Und dabei sollten wir nicht immer gleich mit der großen Keule draufhauen, sondern zur viel besseren „Waffe“ Empathie greifen. Denn nur wenn wir verstehen, warum der andere sich für einen falschen Weg entschieden hat, haben wir auch die Möglichkeit ihm eine echte Alternative aufzuzeigen.

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