Lockdown und Wirtschaft

VON WOLFGANG HORN

Man müsse den zweiten Lockdown auf jeden Fall verhindern. Und: “Die Wirtschaft” vertrage auf keinen Fall weitere Einschränkungen. Das ist immer noch allenthalben zu lesen. 

Niemand will den zweiten Lockdown. Aber vielleicht gibt es Zeitgenossen, denen das nicht wichtig ist, nicht so wichtig jedenfalls wie das ungestörte, uneingeschränkte Privatleben. Und gewiß gibt es solche, die das alles intellektuell nicht wirklich durchdringen. Eben lese ich, daß gestern Abend eine Fetischparty mit etwa 600 Gästen in einer angesagten Location in Berlin-Mitte ein jähes Ende durch den Einsatz der Berliner und der Bundespolizei gefunden hat. Vielleicht trifft in diesem Fall beides zu: Sie wollen sich den Regeln nicht beugen und sie verstehen nicht wirklich, welche Folgen ihr Verhalten für die ganze Gesellschaft und Menschen mit schwächerer Konstitution haben kann. Wenn sich Blödheit und Ignoranz paaren, mangelnder Verstand und verlorener Anstand, Egomanie und fehlende Solidarität, dann nimmt die Pandemie einen rasant schlechten Verlauf.

Die Wirtschaft halte die Einschränkungen nicht aus, zu hören allerorten, von Hoteliers und Gastronomen, von Eventmanagern und Kultureinrichtungen, von Cafébetreibern oder Messeveranstaltern. Ob es der Wirtschaft wirklich besser gehen wird, wenn die Pandemiezahlen sich im derzeitigen Maß weiterentwickeln? Wenn die Menschen nämlich in größerem Ausmaß fortsetzen, womit sie teils schon begonnen haben, nämlich ihre Ausgaben wegen mangelnden Zutrauens in die Zukunft zurückzustellen? Wenn sie nicht mehr reisen oder in Restaurants speisen. Wenn Seminare und Konferenzen, wenn Fortbildungen nur noch online stattfinden. Wenn Menschen nicht mehr mit Lust einkaufen. Wenn langfristige Wirtschaftsgüter auch nicht mehr angeschafft werden? Wenn Lieferketten brechen, weil immer mehr Menschen dem Arbeitsprozess entzogen werden, durch Erkrankung, durch Quarantäne, weil Unternehmen oder Arbeitsplätze gefährdet sind? Es gibt keinen Gegensatz von Wirtschaft und Gesundheit. Wirtschaft funktioniert nicht mit einer in hohem Maße erkrankten Gesellschaft. Das ganze Land, die ganze Welt und ihre Wirtschaft werden mit dem Virus leben müssen, solange, bis Medikamente gegen Covid-19 entwickelt worden und Impfstoffe vorhanden sind. “Die Wirtschaft” hat ein eigenes großes Interesse daran, daß das Virus eingedämmt wird und muß es auch haben. Wirtschaft rangiert also nicht vor, sondern, unter schlechter werdenden Bedingungen, eher hinter den Anstrengungen, die Pandemie einzudämmen. Und: Schuld sind nicht die Regierung, die Herrschenden, irgendeine Clique, die Verschwörung irgendwelcher geheimer Zirkel, die Eliten. Das Virus ist verantwortlich. Und die Minderheit derer, die glaubt, das Virus ignorieren zu dürfen.

Dabei wird dann oft angeführt, die Zahlen seien noch nicht wirklich besorgniserregend, was an der Belegung der Betten in deutschen Intensivstationen mit Covid-19-Patienten ablesbar sei. Dazu hat Dirk Specht auf Facebook ausgeführt: „Die Diskussion ist widerlich. Ich habe noch nie eine Gesellschaft erlebt, die sich daran ergötzt, die Zahl ihrer Intubierten zu „optimieren“. Das ist eine elende Qual, an der immer noch ein Drittel verstirbt. Es ist nur die Spitze des Eisbergs, da hinter jedem Verstorbenen bis zu zehn lange oder dauerhaft Geschädigte und mindestens nochmals zehn länger schwer Erkrankte stehen. Die Betten stehen zudem auch Herzkranken, Menschen nach schweren OPs, Unfallopfern etc. zu. Die Betten werden auch nicht von fröhlichem Personal unter einfachen Bedingungen betreut. Rund um diese „Grenzwerte“ gibt es dermaßen viel Leid, Elend und Mühen, dass wir hier sehr schnell von siebenstelligen Opfern sprechen und zwar nur dann, wenn die Betten ausreichen. Mir reicht es daher mit der Diskussion. Es war ein politischer Fehler, die „Kapazitäten des Gesundheitssystems“ überhaupt ins Spiel zu bringen. Bei einer Epidemie mit einem neuen Erreger und einer einzigartigen Ausbreitungsgeschwindigkeit, gegen die es kaum medizinischen Schutz gibt, ist das Gesundheitssystem nicht mehr als das Entsorgungssystem gesellschaftlichen Scheiterns!“ Dem ist im Wortsinn nichts mehr hinzuzufügen.

Dem zynisch-regellosen Verhalten Weniger muß sofort Einhalt geboten werden. Wenn nämlich nichts oder zu wenig geschieht, werden viele Angehörige, Großeltern und Eltern, jüngere Vorerkrankte und Verwandte mit hohem Erkrankungsrisiko die Adventszeit und Weihnachten intubiert verbringen müssen. Das kann und darf doch niemand wollen.

Kommentar (1) Schreibe einen Kommentar

    • Cammyx
    • 17.11.20, 23:00 Uhr

    Du meinst also, es ist gerechtvertigt das 10000 Menschen leiden müssen, das ein Mensch fileicht übelebt ?

    Ich finde das Folck solte entscheiden dürfen.

    Antworten

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