Nachlässig

VON WOLFGANG HORN

Nachlässig, das war eines der am meisten verwendeten Worte in einer televisionären Talkrunde am gestrigen Abend. Nachlässig seien größere Gruppen der Bevölkerung im Umgang mit dem Coronavirus geworden, weshalb die Zahlen der Infizierten wieder rapide ansteigen. 

Nachlässig. Das versteht jeder. Aber was meint nachlässig genau? Nicht sorgfältig. Oberflächlich. Das hieße, man nimmt das Virus und seine Gefahren nicht mehr wirklich ernst, andere Dinge sind an die Stelle der Infektionsvermeidung getreten. Vergnügen, Parties, Feiern, alles in größeren Gruppen, ohne Distanz, enthemmt. Wie vor der Krise. 

Das aber hieße, die Krise zu ignorieren. In dem Sinne meint nachlässig: verantwortungslos. Wenn Partylaune und Urlaubsgeilheit, wenn egomanisches Feiern und selbstgerechte Verdrängungskunst die Mit-Verantwortung für Freunde und Nachbarn ablösen, wenn Risikogruppen und ihre Nöte nicht mehr zählen, wenn nur das Ich gilt, die Gier nach Vergnügen, der Kopf abgeschaltet und die Ratio ausgewiesen wird, dann ist mehr im Argen als bloß: Nachlässigkeit. 

Dann haben wir es auch mit Teilnahmslosigkeit zu tun. Mit mangelnder oder fehlender Empathie. Dann stimmt etwas nicht mehr mit der Fähigkeit, sich in andere einzufühlen, mitzufühlen, die Not anderer zu spüren. Die meisten Menschen sind erzogen worden in dem Sinne, auf andere, auf die Nächsten zu achten, sie zu lieben, solidarisch zu sein, Menschen in der Not beizustehen. Wenn und daß dieser Wert offenkundig in größeren Teilen vor allem auch der jüngeren Menschen nicht mehr so gilt wie einst, das kann auch mit der gesellschaftlichen Zurichtung zu tun haben. Wenn man lernt, daß man Rasierklingen an den Ellbogen braucht, um im gesellschaftlich-ökonomischen Konkurrenzkampf zu obsiegen, erfolgreich zu sein, dann lernt man auch, Nächstenliebe und Solidarität, Empathie abzuwerten, loszuwerden. 

Sorglos, ein anderes Synonym für nachlässig, sorglos kann man in diesen Zeiten aber nicht sein. Das Durchschnittsalter der Infizierten in Deutschland sinkt dramatisch, von weit über 50 auf knapp über 30 derzeit. Und: Es geht nicht alleine um die akute Infektion, die womöglich von vielen Menschen noch halbwegs gut zu überstehen ist. Immer klarer wird, daß es eine Reihe von noch nicht überblickbaren und seriösen Folgeschäden geben kann durch Covid-2. Sorglosigkeit ist mithin überhaupt nicht angesagt. 

Nachlässig, das ist auch dumpf und teilnahmslos, denkfaul und träge, unachtsam und lasch, schludrig und wirr. Aber wer will all das schon sein.

Kommentar (1) Schreibe einen Kommentar

  1. Ja. Nachlässig und von einigen auch immer wieder bestätigt, werden sie noch nachlässiger.

    Antworten

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.