Unverlangt eingesandt

VON WOLFGANG HORN

Woran merkt man, daß man sich im Wahlkampf befindet? Am ehesten noch in diesen Coronazeiten daran, daß man Post erhält von Absendern, die man entweder nicht kennt, oder von denen man eigentlich keine Post vermißt. Unverlangt eingesandt wurde mir ein äußerlich aufwendig gemachtes Flyerchen aus dickem Karton im Vierfarbdruck, überschrieben mit Zukunft Wermelskirchen. Die neue Bürger-Partei für Wermelskirchen. Was ist das, eine Bürgerpartei? Und welche Partei ist, bitte, keine Bürgerpartei? Sind nicht alle Wahlvereine und Parteien, die auf dem Wermelskirchener Politmarkt für sich hausieren gehen, Bürger-Parteien, sieht man einmal von der so gar nicht bürgerlichen, sondern eher rechtsextremistischen Alternativpartei ab, wie sie sich selber nennt? Eine Bürger-Partei ist also nichts Neues für die Bürgerinnen und Bürger im Bergischen. Neu, relativ neu ist diese Partei, Zukunft Wermelskirchen. Nur: Mit der Zukunft von Wermelskirchen hat das, was ich in diesem Flyerchen lesen kann, nichts, gar nichts zu tun. Immer noch wird lauthals die Forderung nach Ordnungsdienst und Polizeipräsenz erhoben. Obwohl doch erstens der Stadtrat gar nicht zuständig ist und auf der Ebene des Landrats alles entschieden. Das ist die Vergangenheit Wermelskirchens. Ein runder Tisch wird gefordert, der die Stadt sauber hält. Runde Tische mögen ja in zugespitzten Krisensituationen ihre Berechtigung haben. Wenn alle gesellschaftlichen Kräfte auch über politische und parlamentarische Vertretungen hinaus mobilisiert werden müssen, etwa, weil Gefahr droht für Demokratie und Zivilgesellschaft. Die saubere Stadt ist indes eine alltägliche Aufgabe für die Verwaltung. Nicht für einen runden Tisch. Weiter: Die Stadt solle eine kostenlose Unterschriften-Plattform bereitstellen, damit für lokal-politische Themen Petitionen gestartet werden können. Die Petitionierung von Politik, die Ersetzung lebendiger Debatte in den Gremien, die zuständig sind, Rat und Ausschüsse der Stadt, ist eine auch gedankliche Unsitte. Wer ist für die Forumulierung von Fragen und Forderungen der Petitionen zuständig und verantwortlich? Können sich Andreas Müßener und seine Mitstreiter nicht vorstellen, daß Petitionsergebnisse nicht zuletzt auch von den gewählten Formulierungen, von der Wortwahl und dem Sprachduktus abhängig sind? Und: Petitionen ersetzen keine direkte Demokratie. Sie sind eigentlich nur ein dünner Abklatsch dessen. Unsere Demokratie vollzieht sich nach dem Grundgedanken der Repräsentanz. Der Wille von Bürgerinnen und Bürgern wird im Akt der Wahl auf Stadtverordnete und sachkundige Bürger übertragen und von jenen dann in und nach Debatten entschieden und vollzogen. Diesen Prozess kann man nicht durch Petitionen ersetzen, die selbst wieder ausgesprochen willkürlich zustande kommen können. Das Kinder- und Jugendparlament schließlich soll in ein Jugendparlament umgewandelt werden. Warum sollen die Kinder außen vor bleiben? Keine Begründung. Keine Erklärung. Kann Wermelskirchen auf diese Weise wirklich zur Vorzeigestadt in Sachen Jugendpolitik werden? Ich habe da meine Zweifel. Kurzum: Unverlangt eingesandt, dieses inhaltlich doch sehr dünne Pamphlet. Mehr im Gestern verfangen, als daß es das Morgen beschriebe oder zumindest durchscheinen ließe. Trotz des schweren Papiers viel zu leicht.

Kommentare (4) Schreibe einen Kommentar

    • stefan wiersbin
    • 21.07.20, 19:05 Uhr

    Weitere Blüten in diesem “Wahlprogramm” die Verwaltung solle ältere Mitbürger digital bilden oder der Bürgermeister soll sich jede Woche mit einer Videobotschaft an die Bürger richten. Die Stadtverwaltung hat nicht einen Bildungsauftrag, hierfür gibt es unter anderem die Volkshochschulen. Der Bürgermeister hat mit Sicherheit ausreichend Arbeit und wohl eher nicht die Zeit sich wöchentlich per Videobotschaft an die Bürger unserer Stadt zu wenden. – Unser Bürgermeister hat in den letzten Jahren eine gute Arbeit für unsere Stadt, für alle Bürger geleistet. Danke.

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    • Mike Galow
    • 21.07.20, 19:35 Uhr

    Die Forderung, dass sich der Bürgermeister jede Woche mit einem Video an die Bürger*innen wenden soll, ist sicherlich übertrieben. Daher fordern wir Linke jetzt schon seit ca. 5 Jahren einen “monatlichen“ Video- Clip des Bürgermeisters, in dem der Bürgerschaft aktuelle Themen näher gebracht werden, die sitzungsfreie Zeit mal ausgenommen. In der Corona- Krise hat es doch auch funktioniert. Sich etwas aufgeschlossen für zukunftsgerechte Kommunikation zeigen ist halt nicht jedermanns Sache. Anderes Thema, aber wo bleibt die Video- Aufzeichnung der Ratssitzungen?

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    • EDV-Schrauber
    • 21.07.20, 21:40 Uhr

    Man könnte ja weiter so fortfahren:
    – Bürger sollen sich zu Einsparungen äußern und dem Kämmerer seinen Job erklären.
    – Gewerbe siedelt man vor allem mit verfügbaren Flächen an. Daran scheint es eher zu hapern.
    – E-Bikes für städtische Mitarbeiter. Fährt er eigentlich selbst mit dem E-Bike zur Arbeit? Ich würde morgens nicht gerne verschwitzt auf der Arbeit ankommen.
    – Fürs Gewerbe sind Flächen da, aber für neue Bürger nicht?
    – Die Fraktionen brauche ich nicht im Rathaus.
    – Die Stadt soll ältere Bürger an die Digitalisierung heranführen?
    – Windkraft ist viel zu wichtig, um es einem Bürgerbegehren zu überlassen.
    – Petitionen sind (nahezu) wertlos.
    – Umfrage zu Schach, Darts usw. Meine Güte!
    – Der gesamte Law-and-Order-Absatz

    Mit freundlichem Gruß
    -EDV-Schrauber-

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    • MarcO
    • 22.07.20, 9:19 Uhr

    Petitionen? Petitionen gehen gut in Wermelskirchen!

    Damit hatte Herr Klicki (CDU) um sich geworfen um die Innenstadt zur Drive-in-Durchgangsstraße zu degradieren.

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