Nominierungen der Kritikerjury: Sparte Kinderbuch
VON MARIE-LOUISE LICHTENBERG

Sommerferien und alles könnte so schön sein. Wäre da nicht dieser Umzug. Für den 13-jährigen Jan bedeutet das: ein neues Zuhause, eine fremde Schule und ein anderer Schwimmverein. Als wäre das nicht schon schlimm genug, wohnt jetzt auch noch ein Mädchen im Nachbarhaus, das ihn verwirrt und ihm nicht mehr aus dem Kopf geht.
Wie sich herausstellt, geht Flo – so heißt das Mädchen – auch noch in seine neue Klasse. Auf keinen Fall darf sie von seiner Lese-Rechtschreib-Schwäche erfahren! Prompt gerät er aber mit seinem Klassenkameraden Linus aneinander und droht aufzufliegen. Denn: Linus war vor den Ferien mit Flo zusammen, ist im selben Schwimmverein und hat es auf Jan abgesehen.
In ihrem Debüt erzählt Anne Becker glaubwürdig und mit wechselnden Perspektiven von der ersten Liebe, der Kunst sich selbst anzunehmen und für Fehler einzustehen. Neben dem Ich-Erzähler Jan kommt Flo in ihren Tagebucheinträgen zu Wort, in denen sie ihre Gefühle ausschließlich in Form von Diagrammen und Infografiken darstellt. Das ist pointiert und außergewöhnlich witzig. Intelligentes Lesevergnügen mit einem warmherzigen und zugleich ehrlichen Blick auf diese sonderbare Zeit zwischen Kindheit und Pubertät.
Anne Becker • Die beste Bahn meines Lebens • Beltz & Gelberg • ISBN 978-3-407-75457-8 • 12,95 € • Ab Zehn

Vincent wird von seinen Mitschülern seit langer Zeit brutal gequält, weshalb er der bevorstehenden Klassenreise mit Grauen entgegensieht. Mithilfe eines Survival-Handbuches versucht er, sich auf jede Art von Angriff vorzubereiten. Sein einziges Ziel: Überleben.
Schonungslos beschreibt Enne Koens den Versuch des elfjährigen Vincent, ein normales Leben zu führen. Doch sein Alltag ohne Freunde, immer in der Außenseiterrolle, ständig voller Angst vor den anderen Jungen, in einer Phantasiewelt, in der er mit Tieren spricht, lässt Normalität nicht zu. Auf der Klassenreise eskaliert die Situation und Vincent flieht in den Wald, um seinen Peinigern zu entgehen. Sein Survivalwissen hilft ihm mit seinen Ängsten umzugehen und die Nacht im Wald zu überstehen. Zum Glück gibt es „Die Jacke“, eine Klassenkameradin, die ihn im Wald sucht und ihm beweist, dass er es wert ist, gefunden zu werden. Daraufhin öffnet Vincent sich, besiegt seine Angst und stellt sich seinen Peinigern.
Enne Koens berichtet konsequent nur aus der Perspektive von Vincent und führt so die Mechanismen von Mobbing sehr eindrücklich vor Augen. Die herausragenden Illustrationen von Maartje Kuiper und die in grün und schwarz gehaltenen Vignetten, machen das Buch zu einem Gesamtkunstwerk, das der Schwere des Themas entspricht und trotzdem, in der stimmigen Übersetzung von Andrea Kluitmann, Platz lässt für eine abenteuerliche und zeitweise humorvolle Lesart.
Enne Koens (Text) • Maartje Kuiper (Ill.) • Ich bin Vincent und ich habe keine Angst • Aus dem Niederländischen von Andrea Kluitmann • Gerstenberg • ISBN 978-3-8369-5679-6 • 15,00 € • Ab Zehn
Die Texte stammen von den jeweiligen Jurys.